Die spätantike, frühbyzantinische Medizin (4.–7. Jh. n. Chr.) ist vor allem durch die drei Autoren Oribasius von Pergamon, Aetius von Amida und Paulus von Aegina geprägt, die allesamt Werke „enzyklopädischen“ Charakters verfassten. Während sich in der Forschung lange Zeit die Auffassung hielt, dass diese Autoren lediglich altes Material konservierten und abgesehen von dem glücklichen Umstand, dass durch ihre Werke einige Texte früherer Epochen auf uns gekommen sind, die andernfalls gänzlich verloren wären, nicht von Interesse seien, hat es sich mittlerweile etabliert, diese Früchte spätantiker Medizin als eigenständige literarische Produkte zu untersuchen. Diese neuere Forschung hat gezeigt, dass Oribasius, Aetius und Paulus ihre Quellentexte keineswegs nur blind kopiert, sondern durchaus Veränderungen, Neukontextualisierungen und Ergänzungen vorgenommen haben. Vor diesem Hintergrund zeigt der vorliegende Aufsatz anhand ausgewählter Textbeispiele, wie in den medizinischen „Enzyklopädien“ durch Ausschluss, Ablehnung und Annahme von tradiertem Wissen genau dieses Wissen in Bewegung geblieben ist und wie gerade eine Analyse des Zusammenspiels von Wissen, Transfer und Negation hilft, die enorme Eigenleistung dieser spätantiken „Enzyklopädien“ zu erkennen.