Fragestellung:
Pflegebedürftigkeit bedeutet, die praktischen Anforderungen des Alltags im Hinblick auf den Haushalt und die Körperpflege nicht mehr selbstständig bewältigen zu können. Sie bedeutet nicht den Verlust der Fähigkeit, weiterhin selbstständig denken und selbstbestimmt über die eigenen Belange entscheiden zu können. Deshalb stellt sich hinsichtlich der häuslichen Versorgung die Frage, wie es in den Pflegehaushalten um die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen bestellt ist.
Vier Einflussfaktoren sind, so die Vermutung, dafür entscheidend:
1. Die Pflegeversicherung nimmt durch die Festlegung der Leistungsberechtigten, der Bedingungen für den Leistungsbezug und die Leistungsarten auf die Gestaltung der Pflegearrangements Einfluss. 2. Für die Ausgestaltung der Pflegearrangements und die Entscheidungsspielräume der Pflegebedürftigen sind sowohl die sozioökonomischen Lebensumstände als auch die Einstellungen und Erwartungen der Pflegebedürftigen und ihrer HelferInnen, zusammengefasst als soziale Milieus, prägend. 3. Das soziale Netzwerk und die Konstellation eines Arrangements, d.h. seine Zusammensetzung, sowie die Beziehungsqualität sind für die Selbstbestimmungschancen bedeutsam. 4. Die individuellen Bewältigungsstrategien der Pflegebedürftigen wirken sich darauf aus, wie sich die Betroffenen in die Aushandlungsprozesse einbringen.
Methode:
Leitfadengestützte Interviews mit Pflegebedürftigen, Pflegepersonen und ggf. professionell Pflegenden von 63 Pflegearrangements in Ost- und West-Berlin und je einer kleinstädtisch-ländlichen Region in den alten und neuen Bundesländern; Auswertung von 27 Arrangements: qualitative Inhaltsanalyse und kontrastierende Fallvergleiche. Untersuchungsdesign: Zweite Befragung nach zwei Jahren.
Ergebnisse:
Die Bewältigung wird u. a. durch die Ursache der Pflegebedürftigkeit und die seit ihrem Eintritt verstrichene Zeit geprägt. Es lassen sich drei Bewältigungsstile unterscheiden, die ausdrücken, ob und wie sehr die Pflegebedürftigen ihre Beteiligung an den Entscheidungsprozessen einfordern.
Bei der Untersuchung der Konstellationen hat sich gezeigt, dass Pflegebedürftige, die in einem eigenen Haushalt wohnen, deutlich bessere Chancen auf Selbstbestimmung und Teilhabe an der Steuerung haben als diejenigen, die mit ihren Pflegepersonen in einem Haushalt leben. Weiterhin unterscheidet sich die Steuerung konstellationsspezifisch. Die Pflegebedürftigen können sich mehr eigenständige Entscheidungsspielräume bewahren, wenn sie ein großes soziales Netzwerk haben. Professionelle Pflegekräfte können die Position der Pflegebedürftigen in den Aushandlungsprozessen stärken, wenn sie die individuellen Gegebenheiten berücksichtigen.
Die Milieuzugehörigkeit legt vom Wahrnehmungs- und Machbarkeitshorizont her und in materieller und sozialer Hinsicht die Spielräume fest, innerhalb derer überhaupt Entscheidungen getroffen werden können.
Die vom Gesetzgeber mit der Einführung der Pflegeversicherung intendierte Stärkung der Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen unterliegt im Alltag der Pflegearrangements vielfältigen Einschränkungen.
Problem:
To need nursing care means to no longer be able to meet the practical demands of the household and personal hygiene in everyday life. It does not mean the loss of the ability to continue to think independently and to decide alone about your own needs. That's why the question arises with respect to care in the home as to the degree of self-determination by the person needing care in these households.
Four influencing factors are thought to be decisive:
1. The nursing-care insurance exerts influence on the form of the care arrangement by determining who is entitled to benefits and the conditions for when and what type of benefits can be drawn. 2. The form of the care arrangement and the scope that the person needing care has for decision-making are moulded by the social milieu, i.e. the social-economic circumstances, as well as by the attitude and expectations of the person needing care and their carer. 3. The social network, which can present many different support resources and the constellation of an arrangement, i.e. the composition, as well as the quality of the relationship are significant for the self-determination of the person needing care. 4. The person needing care's individual strategy of coping determines how they deal with this critical, life-changing incident. It influences the share the person involved has in the negotiating process.
Method:
Guideline supported interviews with people needing nursing care, carers and, where relevant, professional nursing staff from 63 care arrangements in East and West Berlin and a provincial-rural region in both the old and the new federal states; Evaluation of 27 arrangements: qualitative content analysis and contrasting case comparison. Design of investigation: second survey after two years.
Results:
The strategy of coping is moulded by the cause for care and by the time elapsed since the commencement of care. Three strategies of coping can be determined which express whether and to what extent the person needing care demands to be involved in the decision-making process.
The investigation of the constellations showed that people needing care who live in their own home clearly have a better chance of self-determination and of sharing the control than those who live with their carer in one home. Over and above that, people needing care can preserve more scope for independent decision making if they have a large social network.
Professional nursing staff can strengthen the position of the person needing care if they take into consideration the individual circumstances.
From the perception and feasibility horizon, the milieu to which the person needing care belongs determines materialistically and socially the scope in which decisions can at all be made.
The self-determination of the person needing care, which legislators intended to strengthen with the introduction of nursing-care insurance, is subject to varying limitations of everyday life in the care arrangement.