In seiner fünften Isthmischen Ode verarbeitet der griechische Chorlyriker Pindar einen Mythos, in dem die Motive Migration und Genealogie eine prominente Rolle spielen. Obgleich sich der Mythos der Aiakiden für die Konstruktion von Identitäten eigentlich nicht eignet, verwendet das Siegeslied die heroischen Leistungen der Aiakossöhne, um den Ruhm sowohl des Adressaten als auch der Einwohner der Insel Ägina zu mehren. Da die Aiakiden im Mythos ihre Heimat Ägina gezwungenermaßen verlassen, war die Inselbevölkerung nicht in der Lage, eine direkte Blutsverwandtschaft mit ihnen zu postulieren. Daher ersinnt Pindar eine Strategie, um Migration und Genealogie neu zu akzentuieren. Indem er die Muster von Wanderung und Genealogie betont und gleichzeitig die engen familiären Bindungen unter den Aiakiden auf die Familie des Adressaten projiziert, transformiert Pindar die Konzepte von Migration und Verwandtschaft in zeitlose Narrative. Auf diese Weise wird die “reale” Genealogie gewissermaßen in eine Typologie verwandelt, in der sowohl der Adressat und seine Familie als auch die Inselbevölkerung den mythischen Helden entsprechen.