Die Diskussion um die deutsche Energiewende ist derzeit dominiert durch eine Debatte um die Tragbarkeit der Kosten. „Energiearmut“ wird dabei von verschiedensten Akteuren als Schlagwort in den Diskurs eingebracht. Aber weder existiert in Deutschland eine konsensuale Begriffsdefinition, noch gibt es einen politischen Konsens darüber, ob es einer solchen überhaupt bedarf. Ziel dieser Studie ist es, einen Beitrag zur Versachlichung der Diskussion zu leisten und „Energiearmut“ von einem politischen Kampfbegriff in eine handlungsleitende Definition zu transformieren, die Ansatzpunkte für eine verteilungsgerechtere Politik der Energie-wende offenbart. In einem ersten Abschnitt setzt sich die Studie mit der aktuellen deutschen Debatte um das Thema „Energiearmut“ auseinander und konfrontiert diese mit der weiter fortgeschrittenen britischen Diskussion und politischen Strategie zur Bekämpfung von „fuel poverty“. Aus dieser Auseinandersetzung werden Schlüsse für eine adäquate Problemdefinition in Deutschland gezogen und problemspezifische Lösungsansätze identifiziert. „Energiearmut“ wird in diesem Papier als ein strukturelles Problem einkommensschwacher Haushalte definiert, einen notwendigen Bedarf an Energiedienstleistungen nur zu überproportional hohen Kosten oder nur unzureichend decken zu können. Geringe Einkommen und hohe Energiepreise werden dabei als konstituierende Faktoren, mangelnde Energieeffizienz von Wohngebäuden und energieverbrauchenden Geräten dagegen als wichtigste strukturelle Ursache definiert. Wie groß dieses spezifische Problem in Deutschland ist, stellt eine empirische Frage dar, für die es bisher keine ausreichende Datengrundlage gibt. Anhand der Problemdefinition werden in einem nächsten Abschnitt das in Deutschland bereits vorhandene Maßnahmenportfolio sowie das von Experten vorgeschlagene Instrumentarium einer kritischen Analyse und Bewertung unterzogen: 1) Zunächst wird das sozialpolitische Maßnahmenportfolio – insbesondere die sozialhilfe-rechtliche Festlegung der Regelbedarfe für die Haushaltsenergiepauschalen - auf den Prüfstand gestellt. Anhand empirischer Daten und eigener Berechnungen kann gezeigt werden, dass die staatlichen Transferleistungen für Haushaltsenergie tendenziell eine Unterdeckung des tatsächlichen Energiebedarfs darstellen, welcher einkommensschwache Haushalte nicht durch eine Umschichtung ihrer sonstigen Konsumausgaben entgegenwirken können. 2) Des Weiteren werden die in der Diskussion um die Kosten der Energiewende prominent vertretenen Vorschläge einer sozialverträglichen Gestaltung der Strompreise einer Analyse unterzogen. Sowohl sozial motivierten Vorschlägen zur Stromsteuersenkung als auch für eine progressive Stromtarifgestaltung wird anhand von Berechnungen und einfachen Modellierungen eine geringe oder gar fehlende Entlastungswirkung für einkommensschwache Haushalte sowie eine hohe Zielgruppenungenauigkeit bescheinigt. 3) Schließlich wird in der Studie das deutsche effizienzpolitische Maßnahmenportfolio hinsichtlich seiner Wirkungen, insbesondere hinsichtlich seiner Verteilungseffekte, untersucht. Denn in einer Effizienzpolitik, die zur Senkung des Energieverbrauchs führt, liegt nach Meinung der Autorin der Schlüssel für eine sozialverträgliche Gestaltung der Energiewende. Dies gilt allerdings nur dann, sofern jene, die einen größeren Anteil ihres Budgets für Energie ausgeben, auch Nutznießer effizienzpolitscher Maßnahmen sind. Denn aufgrund der vorrangig umlagefinanzierten Natur energie- und effizienzpolitischer Maßnahmen schultern einkommensschwache Haushalte andernfalls einen aus Gerechtigkeitsperspektive fragwürdigen höheren Beitrag für den Umbau des Energiesystems als ökonomisch stärkere Haushalte. Die vorliegende Studie zeigt, dass das gegenwärtige effizienzpolitische Maßnahmenportfolio negative Verteilungseffekte der Politik der Energiewende nicht adäquat kompensiert. Sogar das Gegenteil ist der Fall: die negativen Verteilungseffekte werden partiell noch verstärkt durch eine nicht–intendierte, aber faktische Exklusion einkommensschwacher Haushalte vom Nutzen effizienzpolitischer Maßnahmen. Die Studie schließt mit einem Plädoyer dafür, die Entlastung einkommensschwacher Haushalte bei der Transformation des Energiesystems nicht allein in den Verantwortungsbereich staatlicher Sozialpolitik zu delegieren. Zwar wird die Erhöhung sozialer Transferleistungen angesichts der konstatierten Deckungslücke zwischen Energiebedarf und Transferleistung als kurzfristig notwendig erachtet. Eine Anpassung von Transferleistungen an steigende Energiepreise ist aber dort nicht hinreichend, wo nicht das geringe Einkommen allein, sondern hohe Verbrauchsmengen aufgrund mangelnder Energieeffizienz von Stromanwendungen und/oder Gebäuden ursächlich für hohe und nicht mehr tragbare Energiekosten verantwortlich sind. Notwendig ist daher eine Effizienzpolitik, die nicht nur hinsichtlich der Höhe der erschließbaren Einsparpotenziale Prioritäten setzt, sondern auch hinsichtlich der Zielgruppen, die Effizienzinvestitionen nicht aus eigener Kraft tätigen oder Investitionsumlagen nicht tragen und daher die Vorteile effizienterer Energieanwendungen nicht nutzen können. Um die Sozialverträglichkeit der Transformation des Energiesystems nicht zu gefährden, muss das Thema „Energiearmut“ nicht nur öffentlichkeitswirksam und wahltaktisch, sondern systematisch in den Blickpunkt der Politik rücken. Entscheidend wird dabei sein, stärker als bisher Diskursarenen zu öffnen, in denen der bislang eher separat geführte sozial- und wohlfahrtsstaatliche Diskurs mit dem ebenfalls eher separat geführten energie- und umweltpolitischen Diskurs zusammengeführt wird. Nur so lassen sich innovative Strategien und konkrete Maßnahmen für eine sozialverträgliche Gestaltung der Energiewende entwickeln.