12 Zusammenfassung der Ergebnisse Die wesentlichen Ergebnisse dieses Vergleichs können in vier Punkten zusammengefasst werden: 1\. die Armutsvermeidung hat im System der gesetzlichen Rentenversicherung zu erfolgen; 2\. das private Sparen wird nur dann von der Bevölkerung angenommen, wenn die-ses auf einer soliden staatlichen Rente aufgebaut werden kann; 3\. Parteipolitik ist aus der Rentenpolitik außen vor zu lassen, um sachorientiert nach der besten Lösung zu suchen; 4\. die Bevölkerung kann in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden; ein offener gesellschaftlicher Diskurs ist möglich. • Endergebnisse aus der Theorieprüfung Die Analyse der Rentenreformen zeigt, dass ein Wandel in der Rentenpolitik stattge-funden hat. Dieser erfolgte nicht in einer großen Reform, sondern er ging in einem schleichenden Prozess über mehrere Legislaturperioden und auch unter verschieden zusammengesetzten Regierungen einher. Die Annahmen des inkrementellen Wandels von Wolfgang Streeck und Kathleen Thelen finden sich bei den Reformen wieder. Der Staat nahm sich aus der Leistungsgewährung zurück. Dieser Wandel ist hauptsächlich der geänderten Auffassung und Zielsetzung der Akteure, insbesondere der von Gerhard Schröder zuzuschreiben. Das Konzept des Akteurzentrierten Institutionalismus spielt somit eine bedeutende Rolle. Durch kalkuliertes Agieren sowie unter Anwendung von Blame- Avoidance-Strategien mit denen die Bürger vernebelt wurden konnten zwar un-ter Eingeständnissen die Vorhaben aber dennoch in ihren wesentlichen Zügen in Geset-ze verabschiedet werden. Das Institutionengefüge der deutschen Konsensus Demokratie stellte hierbei keine Blockade dar. Es war kein relevanter Veto- Player vorhanden, der das Vorhaben verhinderte. Die Liberalisierung des Systems traf im Unterschied zu Großbritannien auf eine Struktur, in der die Armutsvermeidung außerhalb der Sozial-versicherung angesiedelt ist. Zu einer Pfadabweichung und einer Durchbrechung dieser Trennung war man nicht bereit bzw. man hat in diesem Punkt dem Widerstand insbe-sondere von Seiten der Selbstverwaltung nachgegeben und nicht für einen Wandel ge-kämpft. In der aktuellen Diskussion wird in Deutschland nunmehr die Altersarmut auf die Agenda gesetzt und es stehen Lösungswege zur Debatte, die eine Pfadabweichung darstellen würden. Der Einfluss der Europäischen Union war bei den Reformen unbe-deutend. Er erfolgte hauptsächlich auf indirektem Wege über die Finanzministerien. • Endergebnis bezüglich der geprüften Annahmen Die Annahmen, dass in Deutschland die Armutsvermeidung in der gesetzlichen Renten- versicherung keine Tradition hat und in der Politik kurzfristiges Denken vorherrscht, haben sich bei den Reformen bestätigt. Bei der aktuellen Diskussion wird nunmehr im Nachhinein versucht für die Versäumnisse Lösungsmöglichkeiten zu finden. Die übrigen zwei Annahmen wurden weniger stark erkennbar. Es kann kein exakter Zusammenhang zwischen der zu erwartenden Altersarmut und den potentiellen Wählergruppen der Parteien hergestellt werden. Durch die Riester-Förderung sind zwar die mittleren Einkommensgruppen, insbesondere durch die Steuervergünstigungen besser gestellt als die Ärmsten und auch bei der Diskussion um die Zuschussrente wären die potentiellen Wählerinnen der CDU/CSU bevorzugt gewesen. Dies reicht jedoch nicht aus, um hieraus eine generelle Aussage abzuleiten. Auch lässt sich kein kausaler Zusammenhang zwischen der Tatsache herstellen, dass in Deutschland die Altersarmut kein Mas-senphänomen darstellt wie dies in Großbritannien der Fall ist und es aus diesem Grund nicht zum Agenda-Setting kam. • Beantwortung der Ausgangsfrage Es ist auf die Ausgangsfrage dieser Arbeit - warum die Politik die Altersarmut in Kauf nimmt - zurückzukommen. Der Reformprozess unter der rot–grünen Koalitionsregierung setzte auf eine Liberalisierung der Rentenversicherung, indem die Leistungen im staatli-chen System gekürzt und parallel hierzu ein Ausgleich durch den Markt gefördert wurde. Insbesondere die versteckte Altersarmut sollte durch Grundsicherungsleistun-gen, die außerhalb der Sozialversicherung angesiedelt wurden, vermieden werden. Kräf-te aus der Selbstverwaltung verhinderten die Eingliederung in der gesetzlichen Renten-versicherung. Die Regierung kämpfte zu wenig um das System armutsfester zu gestal-ten. Mit Gerhard Schröder agierte zwar ein starker Akteur, aber er setzte andere Schwerpunkte bei den Reformen. Für ihn war es in erster Linie wichtig, dass die kapi-talfinanzierte „Riester–Rente“ verabschiedet wurde. Das war sein Hauptziel. Die Ar-mutsvermeidung war ein Problem, das in der Zukunft lag. An ihr ließ er sich nicht mes-sen, aber an den Arbeitslosenzahlen. Auch bei der „Zweiten Reformwelle“ war die Vermeidung von Altersarmut von unter- geordneter Bedeutung. Im Rürup–Bericht wurde sogar ausdrücklich erwähnt, dass man darauf keine Rücksicht nehmen könne, da die Beitragsstabilität ein wichtigeres Problem sei. Somit verlagerte man die Problemlösung abermals in die Zukunft. Die damaligen finanziellen Probleme in der Sozialversicherung standen im Vordergrund. Diese galt es in den Griff zu bekommen. Daran wurde die Politik gemessen, nicht an der Problemlö-sung von eventuellen zukünftigen Armutszenarien. Wenn sich die Politik nicht um zu-künftige Probleme kümmert, dann stellt sich die Frage, warum man in Großbritannien bei der „Zweiten Reformwelle“ bereit war, sich des Problems anzunehmen und voraus-schauend zu handeln. Der Grund liegt darin, dass in Großbritannien die negativen Aus- wirkungen der Doppelstrategie mit Armutsvermeidung außerhalb der Rentenversiche-rung und Förderung der privaten Altersvorsorge ohne gesetzlicher Verpflichtung bereits ersichtlich waren. Die Zahl der Bezieher von Grundsicherungsleistungen unter den Rentnern ist in Großbritannien mit annähernd 50% sehr hoch und sie wäre ohne weitere Maßnahmen bis zum Jahr 2050 auf 90 Prozent angestiegen. Diese alarmierende Progno-se bewegte die Akteure zum Handeln. In Deutschland wurde bereits von Barbara Ried-müller und Michaela Willert berechnet, wie sich der Anstieg der Grundsicherungsleis-tungen entwickeln würde, wenn er weiterhin so steigt wie bisher. Diese Warnhinweise wurden bisher von der Politik unter Verweis auf die aktuell niedrigen Zahlen von Be-ziehern von Grundsicherungsleistungen im Alter als „Panikmache“ verharmlost. Erst in der jetzigen Diskussion unter der Arbeitsministerin Ursula von der Leyen wurde das Thema Altersarmut auf die Agenda gesetzt. Sie wollte mit der Zuschussrente neue Akzente setzen, wurde allerdings aus den eigenen Reihen und vom Koalitionspartner ausgebremst. Die „Zweite Reformwelle“ von Großbritannien mit dem Pensions Act 2007 und Pensions Act 2008 sind ein Beispiel das zeigt, dass auch sachorientiert nach der besten Lösung gesucht werden kann. In Deutschland gab es bei den hier untersuch-ten Reformen keine der „Zweiten Reformwelle“ in Großbritannien vergleichbaren qua-litativ hochwertigen Reformprozess, bei dem versucht wurde alle Aspekte gleichwertig mit einzubeziehen. Allerdings sind die Reformen in Großbritannien bedingt durch den Regierungswechsel und das Westminster Modell nur von kurzer Dauer . Die von Bar-bara Riedmüller für Europa vorausgesagte „Sockelarmut“ unter den Rentnern wird des-halb wohl kaum noch aufzuhalten sein .
13 Summary 13.1 • Question of the study In this analysis the question is why, in Germany, poverty in old age will increase. The inspiration for this research was given from the OECD Study from 2007. In this study it was calculated, that in Germany poverty in old age will increase especially for low-income earners, for people with broken employment history, with periods of unem-ployment or temporary employment. Contrary to the trend in Germany, the study also showed that the state pensions in Great Britain will improve for the low paid. The ques-tion is why will this change happen? Germany is, especially in the opinion of Esping-Andersen, a conservative welfare state where, till the “Riester-Pension reforms” the living standard was protected in the state system and Great Britain is a liberal welfare state where the state pension system only provides a minimum basic pension. Why can it happen, that in a conservative welfare state, poverty in old age will increase? Why was this development accepted by the politicians? This is the question of the study. 13.2 • Research design To find an answer to this question it was decided to make a policy comparing analysis and analyse the most important pension reforms in both countries since 1999. In politics it is not possible to make experiments therefore we need something similar and this is for example the comparison. With the comparison we can see the special aspects of the system. It provides a better perspective of the system when viewed from the outside. The opposing trend in the reforms of Germany and Great Britain makes it clear that the comparison has to happen with Great Britain. Great Britain is also, like Germany, a western industrial state with a similar standard of living. With the policy analysis it is possible to break down the political decisions, recognise the veto players and the institu-tional factors. It is a mixture of the policy, polity and the politics prospect. Therefore it gives a comprehensive view of the political process. To give the analysis a structure it was decided to take the policy-cycle with its' five steps of agenda setting, formulating the aims of a law, implementing the law, evaluating the law and making corrections to the treated problems. 13.3 • Assumptions \- In the German social insurance there is no tradition to protect against poverty. \- The aim of the politicians is to protect the middle class because this is where their voters are. \- There is no real existing problem of poverty among the elderly in Germany, therefore it doesn't appear on the agenda. \- Politicians think in short term periods. Problems which will arise in the future are ignored. 13.4 • testing theories My aim is to explain the change in pension politics in Germany, resulting in the abolition of the protection of the living standard and the emergence of poverty among the elderly. I decided to take a mixture of theories which I thought could help to explain this change. The reforms were carried out by politicians whose intention it was to veil the negative aspects of the reforms because they wanted to be re-elected. Therefore it is necessary to examine if they used instruments of blame avoidance. Not only the inten-tions and actions of the politicians are important but also the institutions. In this case institutionalism theories are important in explaining the institutional change. Reforms are based on the existing principles and the historical background. It is to be investigated if the reforms were in keeping with the existing principles or not. The reforms happened in the environment of the European Union therefore it is necessary to test the international hypothesis as to whether the European Union had an influence on the reform process. 13.5 • Results The main results are summarized in four points: 1st avoiding poverty has to occur in the state pension system and not in a welfare system outside the state pension system; 2nd people are willing to save in addition for their retirement when they are sure to get a solid pension from the state; 3rd to find the best solution for the problems it is necessary to make pension pol- itics without party politics. 4th to integrate the public in the discussion supports the likelihood that the law will be better accepted by the citizen; The analysis shows that a change has occurred in the German pension politics. This change did not occur immediately but in a slow process over several legislation periods under different governments. The assumptions of incremental change from Wolfgang Streeck and Kathleen Thelen are to be found in the pension reforms. The state pension system was cut back. The change happened because of the changed opinion of the poli-ticians. Especially the former chancellor Gerhard Schröder wanted a liberal welfare state. The concept of the institutionalism of the politicians is therefore important. By calculated actions and through using blame-avoidance strategies to veil the reality from the public, the aims could be realized in the main. The difference to Great Britain was, that the liberalization of the system was confronted with a system in which the preven-tion of poverty was not integrated in the pension system. This is one of the main differ-ences to Great Britain. A change in this structure didn't happen in Germany. The politi-cians couldn't carry out their aims because they were blocked by administrative power which wanted to keep the protection against poverty outside the social insurance sys-tem. In the current discussion such models which could change this structure are being considered. The influence of the Euorpean Union on the reforms was marginal. 13.6 • Results of the assumptions The assumption that in the German state pension system there is no tradition to protect against poverty was confirmed. There was a clear short-term thinking by the politicians visible. They neglected the problem of poverty in old age. Only now in the current dis-cussion has it been put on the agenda. The other assumptions were not so clearly visible. There is no connection visible between the poverty in old age and the potential voters of the parties. There is also no verifiable correlation between the fact that in Germany pov-erty in old age is no mass phenomenon and it's absence from the agenda. 13.7 • Answer oft the opening question The opening question was: Why was it tolerated by the German politics that poverty in old age is increasing? The reason is, that the socialist and green party coalition under chancellor Gerhard Schröder liberalized the pension system. Mr. Schröders aim was to introduce the so called “Riester-Rente”. Veto players like the power of the administra-tion avoided the integration of the prevention of poverty in the state pension insurance. The chancellor didn't fight for preventing poverty in old age. His great aim was to re-duce the unemployment. Also in the second reform wave, preventing poverty in old age was not important in Germany. It was considered that it is much more important to hold the rate of contribution stable. The future problems like the demographic change were seen as a huge challenge which made it necessary to act and cut the scope of benefits. In Great Britain the negative effects of the double strategy to cut the performance of the state system and support the private market wasn´t functioning. There is no motivation to save for the retirement when it is sure to get income related benefit in old age. There-fore the state system has to give a good basis for pensions and the poverty prevention instruments have to be integrated into the state pension system. ThePensions Act 2007 and Pensions Act 2008 are examples for a good reform process which recognized all points. But due to the Westminster System in Great Britain the laws will be changed again. The Conservatives will unite the Basic State Pension with the SERP`s pension. So there is not a good future for the old people in Europe. Perhaps the forecast of Barbara Riedmüller that we will have poverty among the elderly in Europe will come true.