In dieser Fall-Kontroll-Studie wurde erstmalig das prospektive Gedächtnis bei 19 Patienten mit juveniler myoklonischer Epilepsie (JME) und 21 ihrer nicht erkrankten, neurologisch gesunden Geschwister im Vergleich zu 21 gesunden Kontrollprobanden untersucht. Das prospektive Gedächtnis umfasst die Fähigkeit, Handlungsintentionen zu bilden und zu einem späteren Zeitpunkt durchzuführen. Ihm wird eine hohe Bedeutung im Management alltagsrelevanter Tätigkeiten, wie beispielsweise der Termineinhaltung, zugeschrieben. Die einzelnen Phasen des prospektiven Erinnerns umfassen die Handlungsplanung und Intentionsbildung, ein Behaltensintervall, die Handlungsinitiierung nach Erkennen eines dafür bestimmten Stimulus, die plangetreue Handlungsdurchführung und abschließende Bewertung. Wahrscheinlich sind höhere kognitive Funktionen, in erster Linie Exekutivfunktionen, maßgeblich am reibungslosen Ablauf prospektiver Gedächtnisleistungen beteiligt. Bisherige neuropsychologische Untersuchungen an JME-Patienten und ihren Geschwistern haben Funktionsstörungen des präfrontalen Kortex, insbesondere der Exekutivfunktionen und des Arbeitsgedächtnisses, nachgewiesen. Möglicherweise bilden subtile strukturelle und funktionelle Veränderungen der thalamo- frontokortikalen Schleife in neuropathologischen Untersuchungen und funktionellen Bildgebungsstudien das strukturelle Korrelat der geschilderten kognitiven Funktionsstörungen. Die JME geht mit einer hohen genetischen Prädisposition einher. Unter der Annahme, dass es sich bei der JME um eine genetisch determinierte Störung des Gehirnreifungsprozesses handelt, die sich mit einer altersgebundenen thalamo-kortikalen Netzwerkdysfunktion manifestiert, wurden in dieser Studie sowohl das prospektive Erinnern als auch weitere kognitive Funktionen bei Patienten und Geschwistern untersucht. Die Geschwister wurden in Hinblick auf Alter, Geschlecht und Schulbildung mit gesunden Kontrollprobanden parallelisiert. Die neuropsychologische Untersuchung erfolgte mit standardisierten Testverfahren zur basalen Aufmerksamkeit, zu den retrospektiven Gedächtnisfunktionen, dem Arbeitsgedächtnis und den Exekutivfunktionen, sowie mit einem experimentellen Testverfahren, der komplexen prospektiven Mehrfachaufgabe, zur Prüfung des prospektiven Gedächtnisses. Dabei kann jede Phase des prospektiven Erinnerns einzeln bewertet werden. Mit Hilfe der Korrelationsanalyse wurden unter den kognitiven Einzelfunktionen die Einflussfaktoren auf die prospektive Gedächtnisleistung ermittelt. Patienten und Geschwister erhielten zusätzlich eine EEG- Untersuchung. Patienten und Geschwister boten spezifische Defizite in der Bewältigung der komplexen prospektiven Mehrfachaufgabe. Zusammenfassend war bei Patienten und Geschwistern die Phase der Plankomplexität während der Intentionsbildung beeinträchtigt. Außerdem kam es während der Planausführung signifikant häufiger zu Regelverstößen. Zusätzlich führten die Patienten signifikant weniger Aufgaben durch und arbeiteten tendenziell nicht plangetreu. Insgesamt fielen die Ergebnisse der Geschwister zwischen die der Patienten und der Kontrollen. In Hinblick auf die kognitiven Kontrollvariablen waren die Patienten zusätzlich in den figuralen Kurzzeitgedächtnisleistungen, sowie den Exekutivfunktionen semantische Wortflüssigkeit und Interferenzfähigkeit beeinträchtigt. Sonst ergaben sich keine signifikanten Gruppenunterschiede. Unter Berücksichtigung der Korrelationsanalyse sind die Defizite der Patienten und Geschwister in der prospektiven Gedächtnisaufgabe wahrscheinlich Ausdruck eines Planungsdefizits und mangelnder Interferenzfähigkeit. Das höhere Maß an Impulsivität bei der Aufgabenbearbeitung mit häufigen Regelverstößen könnte das Korrelat der von einigen Autoren geschilderten Persönlichkeitscharakteristika bei JME-Patienten mit Impulsivität und Unbeständigkeit sein. Möglicherweise tragen Medikamenteneffekte und subklinische EEG- Aktivität zu den im Vergleich zu den Geschwistern etwas schlechteren Ergebnissen der Patienten bei. Grundsätzlich untermauern die vorliegenden Ergebnisse die Hypothese, dass kognitive Defizite als Teil des Syndroms und nicht als Folge epileptischer Anfälle zu interpretieren sind. Somit ist eine genetische Vermittlung Syndrom- spezifischer kognitiver Defizite wahrscheinlich.
Objective. Prospective memory (PM) describes the ability to fulfil previously planned intentions and is highly dependent on executive functions. Previous studies have shown deficits in executive functions in patients with juvenile myoclonic epilepsy (JME) and in their unaffected siblings. JME has a strong genetic predisposition and it is hypothesized that cognitive deficits are also genetically determined. The present study aimed at investigating potential differences in PM between JME patients, their siblings and healthy controls. Methods. Nineteen JME patients, 21 siblings and 21 healthy controls were examined with a complex PM paradigm allowing us to evaluate the different phases of PM (i.e. intention formation, intention retention, intention initiation, intention execution). Results. JME patients and siblings showed specific deficits during intention formation and intention execution of PM. JME patients were more impaired than both siblings and healthy controls. Correlation analysis revealed an influence of several executive functions on both siblings and JME patients’ prospective memory abilities. Conclusion. The results of this study support the hypothesis of frontal dysfunctions being part of the epileptic syndrome and therefore genetically determined. As in this study JME patients’ are more severely cognitively impaired than their siblings, additional influencing factors, such as side effects of anticonvulsants or cognitive effects of subclinical epileptic discharges, might contribute to patients’ performance.