In den letzten Jahren wird die Rolle des Drogenverlangens bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von abhängigem Verhalten wieder verstärkt diskutiert. Dabei stehen neben kognitiven Erklärungsansätzen v.a. interdisziplinäre - lerntheoretische und neurobiologische Erkenntnisse integrierende - Erklärungsansätze im Mittelpunkt der gegenwärtigen Forschung. So können mittels Lernprozessen ursprünglich neutrale Reize (z.B. Umgebung bei der Drogeneinnahme) sowie Situationen oder Gefühlszustände, die mit der Suchtmitteleinnahme assoziiert werden, durch Sensitivierung der mesolimbischen dopaminergen Neurotransmission individualspezifische Gedächtnisinhalte aktivieren, Suchtmittelverlangen (Sehnsucht nach der erinnerten positiven Suchtmittelwirkung) auslösen und zur erneuten Suchtmitteleinnahme - auch noch nach langer Abstinenzzeit - motivieren. Bislang ist jedoch unklar, wann Verlangen un- bzw. vorbewusst und wann bewusst auftritt. Als experimentelle Untersuchungsmethode des Verlangens dienen neben der psychometrischen Erhebung des subjektiv verbal angegebenen Basisverlangens auch psychometrische und physiologische Erhebungen im Reiz-Reaktions -Paradigma, welches auf den lerntheoretischen Überlegungen basiert. Im Rahmen dieses Paradigmas werden abhängige Patienten und Kontrollprobanden mit suchtmittelassoziierten und neutralen Reizen konfrontiert, um das reizinduzierte Verlangen sowie die reizinduzierten physiologischen Reaktionen als konditionierte Reaktion zu registrieren. Das Konzept des Verlangens setzt implizit voraus, dass z.B. die körperlichen Entzugserscheinungen, das bewusste Verlangen und der tatsächliche Konsum eng miteinander verbunden sind. Ähnlich wie bei Befunden zu Angststörungen sind jedoch die subjektive, physiologische und Verhaltensebene insbesondere bei den abstinenten abhängigen Patienten dissoziiert. Es wird diskutiert, inwieweit die Messung abhängigkeitsassoziierter psychologischer und physiologischer Reaktionen Rückschlüsse auf das Vorliegen einer Abhängigkeit und möglicher Rückfälle zulässt sowie als Maß der Effektivität therapeutischer Interventionen dienen kann. Vor dem Hintergrund eines besseren Verständnisses für das Störungsbild exzessiver, belohnender Verhaltensweisen und der möglichen Anwendung von effektiven Therapiemaßnahmen aus dem Suchtbereich wurde geprüft, inwieweit auch hier Verlangen auftritt und sich die diagnostischen Kriterien der Abhängigkeit auch auf dieses Störungsbild übertragen lassen, wobei sich zeigte, dass die Diagnose Verhaltenssucht hierbei gerechtfertigt ist.