Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, ein praxeologisches und institutionskritisches Modell zur Beschreibung von Unterricht zu entwickeln, welches Explizierungsprozesse im Mathematikunterricht fokussiert. Dieses Ziel leitet sich aus der Annahme ab, dass die implizite Strukturierung von Unterricht konstitutiv für den Zusammenhang von schulischer Leistung und sozialem Hintergrund ist und demnach stratifizierende Wirkung hat. Primäres Anliegen besteht in der Konkretisierung der Forderung nach Explizierung durch die Entwicklung eines Modells zur Beschreibung von Unterricht. Hierzu wird mit Rückgriff auf den systemtheoretischen Ansatz von GIDDENS (1997) sowie dessen Rekontextualisierung im pädagogischen Feld durch CARLE (2000) der Begriff der Unterrichtsstrukturen verortet und konkretisiert. Hierauf erfolgt eine Auseinandersetzung mit der bildungssoziologischen Theorie BERNSTEINS (1990, 2000) zur Strukturierung pädagogischer Diskurse, insbesondere mit dem Konzept des pedagogic device. Darauf aufbauend wird der Zusammenhang zwischen Unterrichtsstrukturen und Implizitheit problematisiert und theoretische Positionen und konzeptionelle Ansätze zu Explizierung näher untersucht (BOURNE, 2003, MORAIS & NEVES, 2012, SERTL, 2014b). Verbunden mit einer Untersuchung der strukturellen Spezifika des Mathematikunterrichts werden hieraus Folgerungen für die Explizierung von Strukturmerkmalen von Mathematikunterricht abgeleitet und in einem theoretischen Modell kondensiert. Dieses Modell ermöglicht es, theoretisch zu beschreiben, wie Explizierungsprozesse in der Unterrichtsinteraktion realisiert werden können. Im empirischen Teil der Arbeit stehen die Analysen konkreter Unterrichtssituationen im Fokus, die der kritischen Rekonstruktion von Explizierungsprozessen im Mathematikunterricht dienen und darauf zielen, die Überlegungen des ersten Teils empirisch zu illustrieren, zu erproben und auszudifferenzieren. Das Forschungsdesign der Arbeit verortet sich dabei in der bildungssoziologisch orientierten qualitativen Unterrichtsforschung, wobei strukturalistische und interaktionistische Konzepte miteinander verknüpft werden. Im empirischen Kern der Arbeit werden Unterrichtsausschnitte analysiert, in denen Lehrpersonen erstmalig Explizierungsprozesse erproben. Durch die tiefergehende Analyse der Unterrichtspraktiken sowie durch deren Vergleich kann aufgezeigt werden, wie bestimmte unterrichtsrelevante Aspekte, die sonst tendenziell unbenannt bleiben, expliziert werden können. Hierbei können im Vorgehen und Verhalten der Lehrkräfte Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Schwerpunktsetzung sowie in der Umsetzung der angestrebten Explizierungsprozesse beobachten werden. Die anschließende Betrachtung des Zusammenhangs zwischen den in den Analysen gewonnenen Ergebnissen und dem aus der Theorie abgeleiteten Modell fokussiert die Frage, inwiefern die theoretischen Überlegungen ausdifferenziert werden können. So ergibt sich die Annahme, dass Explizierungsprozesse (eine systematische, konsequente und durchgängige Umsetzung vorausgesetzt) eine Annäherung an das Postulat der Chancengleichheit in und durch Schule ermöglichen können.
This thesis is concerned with the development of a praxeological model for the description of pedagogic practice which focuses on explication processes in mathematics classrooms. This concern arises from the assumption that the implicit structuring of schooling is constitutive of the relationship between performance in school and the social background of students, and therefore operates in a stratifying way. The demand for explication aims at the significant structures of mathematics classroom practice and especially at the correlated expectations set upon students. The study primarily aims at substantiating the explication claim by developing a model for the description of classroom practice. In order to locate and concretize the notion of classroom structures, the system theory of GIDDENS and its recontextualisation in the pedagogic field by CARLE are used. In addition theoretical resources are drawn from BERNSTEIN (1990, 2000), especially from the concept of the pedagogic device. This leads to the problematisation of implicitness in the structuring of pedagogic discourse and the investigation of theoretical positions on explication and explicating processes (e.g. BOURNE, 2003, MORAIS & NEVES, 2012, SERTL, 2014b). By analysing the structural specifics of mathematics classroom interaction, consequences for the explication of structures of mathematics classroom interaction are derived. They are then condensed in the indented theoretical model of description, which enables researchers to theoretically describe how interactional explication processes can be realised. The empirical part of the study focuses on the analysis of concrete classroom interaction and reconstructs explication processes in mathematics classrooms. It serves the function of empirically illustrating, testing and differentiating the theoretically derived model. The study is conceived as a contribution to qualitative classroom research based on educational sociology, with a research design combining structuralist and interactionist approaches. The empirical part examines sequences of mathematics classroom interaction where five teachers firstly attempt to realise a lesson which highlights explication processes. Thereby it can be demonstrated how certain aspects of pedagogic practice – that usually stay implicit – can be explicated. In doing so, differences and commonalities in the setting of priorities and in the realisation of the intended explication processes are adduced. The discussion connects the empirical results with the theoretically derived model and addresses the question in which way the model can be subtilised. The empirical analysis reinforces the legitimacy of the model in the given frame, so that it is assumed and concluded that explication processes (systemically, consequentially and consistently implemented) can be seen as an approach to the postulation of equal opportunities in education and by education.