Diese Arbeit beschreibt morphologische Veränderungen in den Projektionsarealen der PC, den DCN, bei den Mäusemutanten sg, nr und Lc, die sich durch ihren selektiven Neuronenverlust im Cerebellum als Modelle für die Untersuchung von mutationsbedingten Störungen und ihren Folgeerscheinungen eignen. Durch die Auswirkungen der Mutation kommt es zu einer Umorganisation der synaptischen Verbindungen des cerebellären Cortex und damit auch zu einer Veränderung funktioneller Eigenschaften, die sich in einer Alteration motorischer Fähigkeiten äußert. Gegenstand dieser Arbeit war die Frage, inwieweit es bei diesen Mutanten in den DCN zu Veränderungen kommt, die eventuell mit einer Kompensation mutationsbedingter Defizite in Zusammenhang gebracht werden können. Entscheidend ist dabei immer der Vergleich mit dem intakten System.
Der Arbeit zugrunde liegen Untersuchungen in den DCN von pcd-Mutanten, die unter einer fast vollständigen Degeneration der PC-Population leiden. Immuncytochemisch konnte in den Neuronen der DCN dieser Mutanten die Expression des Calcium-bindenden Proteins Parv nachgewiesen werden, was in Wildtypen nicht möglich ist. Hieraus wurde die Hypothese abgeleitet, dass die Parv-Expression bei Mutationen mit PC-Verlust eine generelle Antwort als Folge des reduzierten PC-Inputs darstellen könnte. Immuncytochemisch wurde diese These an den DCN der Mutanten sg, nr und Lc überprüft. Die quantitative Reduktion der PC-Population wurde durch Antikörper gegen Calbindin D-28k, einem spezifischen PC-Marker, dokumentiert. In alternierenden Schnitten wurde die Immuncytochemie mit Antikörpern gegen Parvalbumin durchgeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass eine Abhängigkeit zwischen der Expression von Parv in den DCN und dem PC-Verlust besteht, wobei das quantitative Ausmaß, die Topographie und Chronologie des PC-Verlustes die entscheidenden Einflussgrößen sind, die über Vorhandensein oder Fehlen von Parv in den DCN entscheiden. Es konnte bewiesen werden, dass 1.) nur ein extremer PC-Input Verlust in den DCN, der eine bestimmte Schwelle überschreitet, zu einer Parv Elevation führt, 2.) Parv genau in den Arealen, in denen es zum PC-Input Verlust kommt, exprimiert wird und 3.) der PC-Terminalien Verlust in den DCN beginnen muss, bevor Parv- positive Neurone in den DCN sichtbar werden, also auch ein chronologischer Zusammenhang zwischen Terminalienverlust und Parv Elevation besteht.
Trotz ihres nahezu kompletten PC-Verlustes weisen pcd-Mutanten relativ geringe motorische Defizite auf. Dies ist bei nahezu allen Mutanten, die Parv in Neuronen der DCN exprimieren, zu beobachten. Das Vorhandensein von Parv wird mit erhöhter Aktivität entsprechender Neurone in Verbindung gebracht, und Parv wird vorwiegend in inhibitorischen Neuronen lokalisiert. Möglicherweise kommt es also durch die Expression von Parv in den DCN zur Wiederherstellung verlorengegangener Hemmung, was sich stabilisierend auf die motorischen Fähigkeiten auswirkt. Die Elevation von Parv in den DCN der Mutanten stellt demnach einen Kompensationsmechanismus dar, der von Nutzen für die Motorik ist. Die Bedeutung der Parv-Elevation für die Motorik wurde im Vergleich mit Untersuchungen an anderen Mutanten und mit Transplantationsversuchen embryonaler PC, die über einen anderen Weg die Rekonstituierung verlorener Hemmung erreichen sollen, kritisch diskutiert.
The present paper describes morphological changes in the projection areas of the PC, the DCN, with the cerebellar mutant mice sg, nr and Lc, which by their selective loss of cerebellar neurons, are particularly suited to serve as models for the study of disorders caused by mutations and their consequences. The mutation leads to a reorganisation of the synaptic connections of the cerebellar cortex and with it to a change of functional qualities which are expressed by motor impairment. The topic of this paper was to find out to which extent changes in the DCN of these mutants are brought about that could compensate for mutation-caused deficits. The comparison with the wildtype is in this context of crucial importance. The paper is based on studies in the DCN of pcd-mutants which suffer from an almost complete degeneration of the PC-population. By means of immunocytochemical investigations the expression of the calcium-binding protein Parv in neurons of the DCN of these mutants could be shown, which is not possible in wildtypes. From these observations the hypothesis was proposed that the Parv-expression in cerebellar mutants with PC-loss might be a general answer following the reduced PC-input. Immunocytochemically this thesis was tried to be confirmed within the DCN of the mutants sg, nr and Lc. The quantitative reduction of the PC population was proved by means of antibodies against Calbindin D-28 k, a specific PC marker. In alternating sections immunocytochemical investigations with antibodies against Parv were performed. The results show a clear dependence between the expression of Parv in the DCN and the PC-loss. The amount, the topographic localization and the chronology of PC-loss are the key factors deciding wether Parv is expressed in the DCN or not. It could be shown that 1.) only an extreme PC-input loss, which exceeds a certain threshold leads to an elevation of Parv in the DCN, 2.) Parv is expressed exactly in those areas where the PC- input loss takes place and 3.) Parv-positive neurons become visible only after the onset of PC terminal degeneration, indicating a chronolgic order between loss of PC-terminals and Parv-elevation in the DCN. In spite of their almost complete PC-loss pcd-mutants show only slight motor impairment. This is also true for all mutants, that express Parv in DCN neurons. The existence of Parv is a sign for increased activity of corresponding neurons and Parv is localized predominantly in inhibitory neurons. Possibly the expression of Parv indicates the reconstitution of lost inhibition which is a stabilizing factor for the motor activity. Thus the elevation of Parv in the DCN of the mutants could compensate for motor impairment caused by PC input loss. The significance of the elevation of Parv, concerning the motor abilities was critically discussed in context with experiments on other mutants, where embryonic PC were transplanted in order to obtain the reconstitution of lost inhibition.