Einleitung: Patientinnen mit Anorexia nervosa zeigen morphologische und funktionelle Hirnveränderungen. Vergrößerte Hirnventrikel, erhöhtes Liquorvolumen, verringerte graue und weiße Substanz sowie Hypometabolismus im Frontal-, Parietal- und Temporallapen wurden bereits mehrfach in MRT-Studien nachgewiesen. Einige Untersuchungen haben selbst nach Gewichtszunahme anhaltend signifikante Unterschiede zwischen Gewichtsrehabilitierten und Kontrollpersonen nachweisen können. Auch motorische Areale wie der Gyrus cinguli scheinen in Perfusionsstudien Veränderungen zu zeigen. Zusätzlich bewiesen neuropsychologische Studien eine deutliche Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und der Psychomotorik. Fragestellung: Ausgehend von diesen morphologischen und funktionellen Hirnveränderungen halten wir diskrete neurologische Auffälligkeiten, so genannte Neurological Soft Signs (NSS), bei Patientinnen mit Anorexia nervosa für wahrscheinlich. Unseres Kenntnisstandes nach wurde dies mit standardisierten bzw. objektiven Verfahren bisher nicht untersucht. Auf dieser Grundlage entwickelten wir die Fragestellung, ob Anorexiepatientinnen mehr Neurological Soft Signs zeigen als normalgewichtige Probandinnen, und ob sich diese nach Gewichtszunahme zurückbilden. Methodik: Wir vergleichen eine nach Alter und Verbal-IQ gematchte Stichprobe von 36 Patientinnen (Alter 18.9+-3.7, BMI 14.9+-1.5) mit akuter AN (BMI <3\. Altersperzentile) mit 36 normalgewichtigen Kontrollen (Alter 19.1+-3.5, BMI 21.1+-1.8). 10 der Patientinnen wurden nach Gewichtszunahme erneut untersucht. Diagnose (SIAB), Komorbiditäten und Psychopathologie (EDI, SCL-90) wurden für alle Teilnehmerinnen erhoben. Die Untersuchung der NSS erfolgte mit der Neurological Evaluation Scale (NES) und einer standardisierten Untersuchung von Schreib- und Zeichenbewegungen (Manumotorik) mittels eines digitalen Schreibtabletts. Die psychomotorische Geschwindigkeit wurde mit dem Zahlenverbindungstest (ZVT) gemessen. Einflussvariablen wie Händigkeit und motorische Aktivitäten wurden verglichen. Auf der Grundlage einer Faktorenanalyse wurden nach Bonferroni-Korrektur drei kinematische Parameter mit dem t-Test bzw. mit dem Wilcoxon-Test für gepaarte Stichproben verglichen: Stroke Frequenz, mittlere Segmentlänge und % der Segmente mit NIV=1 (als Maß für Automation). Ergebnisse Patientinnen im Untergewicht zeigten in der NES signifikant mehr Fehlerpunkte (MW 4.6+-2.9) als gesunde Kontrollprobandinnen (MW 2.4+-1.9), p=0.001. Nach Gewichtszunahme verbesserten sich Patientinnen um durchschnittlich 2.1 Fehlerpunkte, jedoch nicht statistisch signifikant (p=0.061). In der Manumotorik fanden wir im komplexen Versuch 2 (schnelle Kreise bei Distraktion zeichnen) einen signifikanten Unterschied im Geschwindigkeitsparameter Stroke Frequenz zwischen Patientinnen (MW 3.68+-0.68) und Kontrollen (MW 4.12+-0.67), p= 0.005, sowie einen statistischen Trend für Beeinträchtigungen im Automationsgrad in der Patientinnengruppe. Im Versuch 4 (Satz schreiben) zeigte sich ebenso eine signifikant langsamere Geschwindigkeit unter Patientinnen (p=0.002), jedoch beinhaltete diese Aufgabe keine explizite Geschwindigkeitsinstruktion. Im Zahlenverbindungstest benötigten Patientinnen (MW 65.9s+-11.2s) signifikant länger als Kontrollprobandinnen (MW 58.8s+-8.4s), p= 0.003. Nach Gewichtszunahme zeigten Patientinnen eine hochsignifikante Verbesserung um 10.2 Sekunden (p<0.001). Weiterhin haben wir eine signifikant negative Korrelation zwischen BMI-SDS und NES-Punktzahl (p=0.008), einen signifikanten Regressionskoeffizienten zwischen Perfektionismus und NES-Punktzahl (p=0.029) sowie zwischen Perfektionismus und ZVT-Dauer (p= 0.049) berechnen können. Diskussion: Gemessen mit der NES zeigten anorektische Patientinnen hoch signifikant mehr Neurological Soft Signs als Kontrollen. In der manumotorischen Messung ergab sich bei expliziter Geschwindigkeitsinstruktion nur in der beidhändigen, damit komplexen Aufgabe beim Geschwindigkeitsparameter ein signifikanter und damit bedeutsamer Unterschied. Im ZVT bestätigte sich die in der Literatur beschriebene Beeinträchtigung der psychomotorischen Geschwindigkeit. Diese Ergebnisse zeigen eine Beeinträchtigung des motorischen Systems und der psychomotorischen Geschwindigkeit im Untergewicht und könnten Ausdruck der bekannten morphologischen und funktionellen Veränderungen sein. Möglicherweise ist der Zusammenhang zwischen BMI und Neurological Soft Signs Ausdruck für den Schweregrad einer Beeinträchtigung von Hirnfunktionen. Dies sollte in zukünftigen Studien in größeren Patientinnenkollektiven und gleichzeitiger Messung von hirnmorphologischen Veränderungen untersucht werden.
Introduction: Studies in patients with anorexia nervosa show morphologic and functional brain alterations. Enlarged ventricle volume, reduced grey and white matter volumes and diminished metabolism in the parietal and frontal lobes have been observed. Many of the morphologics alterations seem to be reversible. Furthermore motoric areas such as Gyrus cinguli seem to show alterations in state of malnutrition. We have come to the assumption that malnourishment results into fine motor deficits and less automatic movements as it has been observed in patients with other psychiatric diseases such as schizophrenia, depression and obsessive-compulsive disorders. Methods: 36 female patients were examined in the state of malnutrition (< 3\. BMI- percentile) using the standardised Neurological Evaluation Scale (NES), the Trail Making Test and a kinematical analysis of handwriting and drawing movements. The kinematical analysis determines different motion parameters, such as velocity, acceleration, amplitude, regularity and automatization using a digitizing graphic tablet. Results were compared to data from 36 healthy control subjects. The groups were matched for age and verbal IQ. 10 patients were tested again after weight increase. Results: Patients in the state of malnourishment show significant higher NES-scores (mean 4.6+-2.9) compared to healthy controles (mean 2.4+-1.9), p=0.001. After weight increase of 10 patients we determined an improvement of 2.1 in the NES-score, statistically not significant (p=0.061). In the kinematic analysis we observed a significant difference in the complex excercise of drawing circles with distraction. Patients accomplished the examination significantly slower (stroke frequency mean 3.68+-0.68) compared to controls (mean 4.12+-0.67), p=0.005. The Trail Making test was conducted slower by patients (mean 65.9s+-11.2s) compared to controls (mean 58.8s+-8.4s), p= 0.003. Discussion: With regard to NES-scores patients with anorexia nervosa show more Neurological Soft Signs compared to healthy controls. In the kinematic analysis we ascertained an impairment of velocity parameters in a complex bi-manual task. Impaired motor functioning could represent a clinical correlate of malnutrition-associated brain changes. Longitudinal studies should reveal if potential damage can be reversed through realimentation.