Die schulischen Leistungen von Jungen sind in den vergangenen Jahren nicht nur deutlich stärker in den Forschungsfokus geraten, sondern wurden auch in den Massenmedien breit diskutiert (Weaver‐Hightower, 2003). Zentraler Inhalt des öffentlichkeitswirksam geführten Diskurses ist, dass Jungen relativ zu Mädchen zurückgefallen sind, so dass sie heute, im Unterschied zu der Si-tuation in früheren Kohorten, weniger hochwertige Schulabschlusszertifikate erwerben als Mäd-chen. Empirisch lässt sich feststellen, dass Jungen mit ansteigendem Ausbildungsniveau immer weniger vertreten sind. So besuchen die Hauptschule mehr Jungen als Mädchen, hingegen das Gymnasium mehr Mädchen als Jungen. Bezüglich akademischer Leistungen kann festgehalten werden, dass Jungen in der Lesekompetenz – einer Schlüsselkompetenz für den akademischen Erfolg – deutlich geringere Leistungen aufweisen als Mädchen, während allerdings in der Mathe-matik ein vergleichsweise geringerer, aber signifikanter Leistungsvorsprung zugunsten der Jun-gen besteht. Insofern ist das durch die Medien propagierte generelle Stereotyp über den männli-chen Schulversager nicht angemessen, da sich die Kompetenzen von Mädchen und Jungen unver-ändert in Abhängigkeit der Geschlechtskonnotation der fachlichen Domäne voneinander unter-scheiden. Dem Forschungsansatz von Hannover & Kessels zufolge (z.B. Hannover & Kessels, 2004, 2011; Kessels & Hannover, 2004, 2006) ist Schule nicht nur ein Ort des Kompetenzerwerbs, sondern auch ein Ort, an dem Kinder und Jugendliche ihre Identität entwickeln und aushandeln. Genauer wird in Bezug auf die geschlechtsbezogene Identitätsentwicklung angenommen, dass Kinder und Jugendliche die Geschlechtskonnotation von schulischen Lern‐ und Interaktionsangeboten prü-fen und ihr Verhalten so ausrichten, dass ihre Identität als Junge bzw. Mädchen abgestützt wird. In dieser Sichtweise kann die mediale Darstellung von Jungen als "Verlierern in der Schule" dazu beitragen, dass Jungen sich von Schule distanzieren und in ihrer Leistungsfähigkeit durch Stereo-typenbedrohung beeinträchtigt werden. Das Paradigma der Stereotypenbedrohung geht davon aus, dass durch die Befürchtung, ein negatives Stereotyp über die eigene Gruppe zu bestätigen, die Leistungsfähigkeit der betroffenen Person reduziert ist. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird untersucht, inwiefern Schülerinnen und Schüler das Stereotyp des männlichen Schulversagers überhaupt wahrnehmen (Studie 1) und welche Konsequenzen aus dieser Wahrnehmung für die Leistung (Studie 2) und die Motivation (Studien 3 und 4) von Jungen in den Fächern Deutsch und Mathematik erwachsen. Ferner wird im Rahmen der vorliegenden Arbeit überprüft, inwiefern die Bedrohung des Überlegenheitsstatus von Jungen das Intergruppenverhalten im schulischen Kontext beeinflusst. Die Theorie der sozialen Identität (Tajfel & Turner, 1986) postuliert hierzu Möglichkeiten, wie sich eine durch Bedrohung induzierte, unsichere soziale Identität durch Wie-derherstellung positiver Distinktheit stabilisieren lässt, so z.B. durch die Abwertung der Fremd-gruppe (Studien 5 und 6), den Wechsel identitätsrelevanter, sozialer Vergleichsdimensionen (Studie 7) oder den Wechsel der sozialen Vergleichsgruppe (Studie 8). Die Ergebnisse der Studie 1 zeigen, dass Jugendliche Jungen im schulischen Kontext deutlich mehr negative Eigenschaften zuschreiben als Mädchen, die überwiegend durch positive schulbe-zogene Eigenschaften charakterisiert werden. Die Ergebnisse der Studie 2 verdeutlichen, dass sich dieses negative Stereotyp auf die Leistungsfähigkeit von Jungen im eher feminin konnotier-ten Leistungsbereich Deutsch, nicht jedoch in der eher maskulin wahrgenommenen Domäne der Mathematik, ungünstig auswirkt. Nach der Bearbeitung eines kurzen Lesetextes, aus welchem sich eine generell geringere schulische Leistungsfähigkeit von Jungen ableiten ließ, wurde die Leistung von Jungen in dieser Gruppe in Deutsch im Vergleich zu einer Kontrollgruppe bedeut-sam gemindert, wohingegen Mädchen in der Experimentalgruppe sogar eine im Vergleich zur Kontrollgruppe gesteigerte Leistung im Fach Deutsch aufwiesen (Studie 2). Für Mathematik zeig-ten sich keine bedeutsamen Leistungsunterschiede als Ergebnis des experimentellen Treatments. In Studie 3 wurde der Effekt eines ähnlichen experimentellen Treatments auf die Motivation un-tersucht und in Studie 4 repliziert. Nach Bearbeitung einer kurzen Statistik, aus welcher das schlechtere Abschneiden von Jungen in der Schule hervorging, konnte für das Fach Deutsch kei-nerlei Unterschied auf der Ebene motivationaler Zielorientierungen gefunden werden, wohinge-gen für die Mathematik Jungen der Experimentalbedingung im Vergleich zu einer Kontrollgruppe eine stärkere Lernzielorientierung aufwiesen (Studien 3 und 4). Diese Ergebnisse sprechen dafür, dass Stereotypenbedrohung für Jungen zu einer Verstärkung der Geschlechtstypisierung in ihrer motivationalen und leistungsbezogenen Entwicklung in der Schule beiträgt. Bezüglich der Stu- dien 5 bis 8 zur Theorie der sozialen Identität ließ sich feststellen, dass Jungen nach Bearbeitung des experimentellen Treatments tendenziell stärker dazu geneigt waren, direkten sozialen Wett-bewerb zu betreiben und insbesondere Weiblichkeit abzuwerten, was sich in einer erhöhten Ausprägung hostil‐sexistischer Einstellungen gegenüber Mädchen im Vergleich zu Jungen der Kontrollgruppe äußerte. Demgegenüber berichteten Mädchen der Experimentalbedingung mehr benevolent‐sexistische Einstellungen gegenüber Mädchen als Mädchen der Kontrollgruppe. In den Studien 5 bis 8 zur Wiederherstellung positiver Distinktheit konnte weder für den Wechsel der Vergleichsdimension, noch für den Wechsel der Vergleichsgruppe ein differenzieller Effekt in Abhängigkeit der experimentellen Manipulation festgehalten werden. Dies kann bedeuten, dass Jungen der untersuchten Altersstufe „soziale Kreativität“ möglicherweise nicht als adäquate Stra-tegie zur Absicherung einer Bedrohung ihrer sozialen Identität ansehen, sondern sie verstärkt auf sozialen Wettbewerb zurückgreifen. Die Ergebnisse werden abschließend zusammengefasst und hinsichtlich ihrer Implikationen für das Forschungsfeld der Sozial‐ und Pädagogischen Psychologie, für das Anwendungsfeld Schule und für Bildungsadministration und Bildungspolitik diskutiert.
Over the past few years, the academic performance of boys has not only increasingly become the focus of research but has also been widely discussed in the mass media (Weaver-Hightower, 2003). The key content of this discourse, which has attracted considerable public attention, is that boys have fallen behind academically, compared to girls. In contrast to the situation in pre- vious cohorts, they are therefore currently gaining school leaving certificates of a lower level than those gained by girls. Empirically, it is noticeable that boys are increasingly less represented as the level of education increases; i.e. in Germany, a higher proportion of boys attends the lowest level of secondary school ("Hauptschule") whilst girls are over- represented in the schools that offer the highest level of secondary school education ("Gymnasium"). In terms of academic per-formance, it is fair to say that as far as reading competence is concerned – which is a key skill for academic success – boys are performing considerably less well than girls, although the difference is comparatively less pronounced yet still marked in mathematics, where the boys are perform-ing better. The stereotypical label of "male non-achiever" generally propagated by the media is therefore applied unjustly as the performance of girls and boys continues to differ in line with the gender connotations of a particular subject domain. According to the research approach practised by Hannover & Kessels (e.g. Hannover & Kessels, 2011, Kessels & Hannover, 2004, 2006), school is not only a place for competence acquisition but also a place where children and young adults develop and negotiate their identity. Focusing in more detail on gender-based identity development, it appears that children and young adults assess the gender connotations of educational and social interaction offers at school and gear their behaviour towards supporting their male or female identity. Considering this aspect, the media representation of boys as "academic non- achievers" can con-tribute to boys distancing themselves from school education. Stereotyping can therefore pose a threat which has an adverse impact on their performance at school. The paradigm of stereotyping as a threat is based on the fear that affirming a negative stereotype through the own group reduces a particular individual's achievement potential. The extent to which male and female students in fact perceive the stereotypical "male academic non-achiever" (Study 1), and also the consequences arising from this perception in terms of the performance of boys in the subjects of German and mathematics (Study 2) and in terms of motivation (Studies 3 and 4) will be examined within the scope of this work. It will further examine to what extent this threat to the superiority status of boys impacts on intergroup behaviour in a school context. In this respect, the theory of social identity (Tajfel & Turner, 1986) postulates approaches to how an insecure social identity induced by threat can be stabilised through the reestablishment of positive distinctions, for example through degradation of the other group (Studies 5 and 6), ad-justment of the identity relevant social comparison dimensions (Study 7) or by changing the so-cial comparison group (Study 8). The results of Study 1 show that in a school context, young adults ascribe considerably more negative characteristics to boys than they do to girls, who are characterised mainly by positive attitudes when it comes to school. The results of Study 2 clearly illustrate that this negative ste-reotyping with regard to the academic performance of boys has an adverse impact on the achievements of boys in the subject of German, which tends have feminine connotations, alt-hough it has no effect on the performance of boys in the subject of mathematics, a domain that tends to be perceived as masculine. Subsequent to being given a short reading text to work through, which suggested the conclusion that the boys in the group generally performed less well academically, their achievements in the subject of German were in fact considerably lower com-pared to the achievements in a control group, whereas the girls in the group that participated in the experiment even performed better than those in the control group in the subject of German (Study 2). There appeared to be no significant differences in performance in mathematics as a direct result of this experimental approach. Study 3 examined the effect of a similar experimental situation on motivation; this was replicated in Study 4. After the analysis of a brief statistic which showed that boys did worse in school, the level of motivational goal orientation appeared to be unaffected in the subject of German whereas in mathematics, the boys in the group taking part in the experiment showed a stronger orientation towards the learning aims than those in the con-trol group (Studies 3 and 4). These results indicate that the threat of stereotyping boys contrib-utes to increased gender typecasting in their motivation and performance related development at school. As far as Studies 5 to 8 on the theory of social identity are concerned, these showed that the boys who had taken part in the experiment tended to be more disposed towards entering into direct social competition, and in particular towards the degradation of femininity, which was expressed through more markedly hostile sexist attitudes towards girls, compared to the boys in the control group. In contrast, the girls who took part in the experiment reported an increase in benevolent sexist attitudes towards girls, compared to those in the control group. Studies 5 to 8 on the reestablishment of positive distinctions were inconclusive, as the experimental manipula-tion showed no differentiating effects in terms of adjustment of comparison dimension or change of comparison group. This may mean that the boys in the age group examined possibly do not consider "social creativity" to be an adequate strategy against threats to their social identity but in fact tend to rely more on social competition in this respect. By way of conclusion, the results are summarised and discussed with regard to their implications for the field of social and educational psychology research, for the application environment school and for educational administration as well as education policy.