Im Sammlungsbestand des Museums für Vor- und Frühgeschichte Berlin befinden sich rd. 400 Objekte aus dem Tessin, die zum überwiegenden Teil der alpinen Golaseccakultur zugerechnet werden können. Sie stammen aus einigen der großen Gräberfelder in der Gebirgs-Region um Arbedo (Castione, Castaneda, Giubiasco und Molinazzo), die eine kontinuierliche Belegung von ca. 500 bis 200 v. Chr. zeigen und deren Bevölkerung allgemein als ’Lepontier’ bezeichnet bzw. von lepontischer Kultur gesprochen wird. Die Nekropolen wurden ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert von privater Seite ausgebeutet und das Material an verschiedene Museen verkauft. Bei den Berliner Objekten handelt es sich vor allem um unausgeschiedene Funde, aber auch um vermeintliche Inventare, wobei der fehlende Fundzusammenhang und die mögliche Unzuverlässigkeit der Vergesellschaftungen durchaus bekannt waren. Die Berliner Funde datieren in die späte Hallstatt- und frühe Latènezeit, doch sind auch vereinzelt Mittellatènetypen vorhanden. Der Schwerpunkt liegt in der regio¬nalen Zeitstufe Tessin D, die dem Horizont LT A entspricht, jedoch noch keine Latènefibeln enthält. Das Material repräsentiert gut das Beigabenspektrum, wie es in den Tessiner Gräberfeldern zu finden ist. Es handelt sich zum einen um Gefäßbeigaben aus Keramik, bei denen vor allem die zahlreichen lokalen Bechertypen chronologische Relevanz haben. Dazu kommen Bronzegefäße, die sowohl aus einheimischer Fertigung (wie Situla und große Tasse) stammen als auch Importe (etruskische Schnabelkanne) darstellen. Zum anderen kommen Trachtbestandteile aus Bronze, Eisen und Bernstein vor, die wegen der Beigabensitte überwiegend zur weiblichen Tracht gehören. Diese ist gekennzeichnet durch umfangreichen Fibelschmuck, repräsentiert durch verschiedene Arten von Sanguisugafibeln und bronzenen Latènefibeln, Ohrschmuck, sowie breite Gürtelbleche. Schwere Bernsteinketten stellen ebenfalls ein lokales Charakteristikum dar. Die Ausstattung der Männergräber ist auf die Fibelbeigabe (der Typenvorrat umfaßt hier Schlangen- und Dragofibeln und die Certosafibel vom Tessiner Typ) und wenige Eisenobjekte beschränkt: Messer, Koppelringe, Gürtelschließen. Ein besonders seltenes Objekt stellt der Eisenhelm dar. Die lepontische Region zeigt im Fundmaterial enge Verbindungen mit den beiden anderen Zentren der Golaseccakultur um Como Ca’Morta und Castelletto Ticino/Sesto Calende, doch werden auch sehr individuelle Züge deutlich wie der abweichende Ritus der Körperbestattung, der noch bis in römische Zeit beibehalten wird. Daneben wird durch die Aufnahme und Umformung fremder Typen die Kreativität des lepontischen Kunsthandwerks deutlich, das zahlreiche lokale Ausprägungen fertigt. Dies hat zur Formulierung des ’Tessiner Typs’ bei verschiedenen Fundgattungen geführt. Deutlich werden Verbindungen nicht nur in die Poebene und nach Etrurien, sondern vor allem auch nach Osten, wo vielfach Anregungen für den lokalen Stil zu sehen sind. Doch ist auch ein reger Austausch der Region mit dem Schweizer Mittelland bemerkbar; keltischer Einfluß wird erstmals im ausgehenden 5. Jahrhundert mit den durchbrochenen Gürtelhaken deutlich. Diese vielfältigen Verbindungen sind zum einen sicher auf kulturelle Strömungen zurückzuführen, dürften besonders aber durch die Lage der Region an einer die Alpen überquerenden Nord-Süd-Achse begründet sein. Hierdurch wird die alpine Golaseccakultur zu einem wichtigen Mittler zwischen Etruskern und Kelten, wobei sich die Prosperität in quantitativ und qualitativ gut ausgestatteten, aber recht egalitären Gräbern abbildet. Die Zuschreibung zu einem keltischen Stamm der Lepontier ist der römischen Geschichtsschreibung geschuldet und entspricht letztlich nicht der kulturellen Entwicklung im Tessin. Doch ist die Namensgebung in der Forschung allmählich so fest verankert, dass durchaus von Lepontiern gesprochen werden kann. Demnach beschreibt die vorliegende Arbeit anhand der Berliner Museumsfunde die lepontische Kultur.
Berlin’s Museum of Prehistory and Early History has some 400 objects from Tessin, the majority of which can be attributed to the Alpine Golasecca culture. They originate from several of the large necropolis in the mountainous region around Arbedo (Castione, Castaneda, Giubiasco and Molinazzo) which were shown to have a continuous covering from circa 500 till 200 b. c. Its population was generally termed Lepontic, or else is spoken of lepontic culture. Towards the End of the 19th century the necropolis were plundered by private activities and the material was sold to various museums. The Berlin objects consist mainly of mixed-up finds, but also of presumably entire sets of grave goods. The absence of data relating to their discovery and the dubious nature of their relationship was acknowledged. The Berlin finds date from late Hallstatt and early Latène period, though there are a few of Middle Latène typ. Most of them belong in the regional time period Tessin D, which corresponds to horizon A, but contains no Latène fibulae. The material represents a good spectrum of the grave goods found in the Tessin burial areas. On the one hand there are ceramic vessels, of which the numerous local types of beaker are relevant chronologically. There are also bronze vessels, some of native manufacture (Situla), as well as imports (Etruscan sprout-flagon). On the other Hand, components of costume of bronze, iron and amber occur which customarily belong to womans’ attire. These are characteristic of extensive brooch decoration, represented by different sorts of sangisuga fibulae and bronze Latène fibulae, ear decoration of amber pearls, as well as broad girdle plates. Heavy amber necklaces are also typical of the district. The provsions in the mens’ graves are limited to gifts of brooches (the range of types here includes snake- and dragon brooches and the Certosa brooch of Tessin Type) and a few iron objects: knives, “Koppelringe” and girgle-hooks. An iron helmet is an exceptionally rare piece. The material found in the Lepontic region indicates strong connections with the other two centres of Golasecca culture around Como Ca’Morta and Castelletto Ticino/Sesto Calende, though very individual traits were obvious, as was the deviation in burial rites (inhumation) which were adhered to till Roman times. Moreover, it becomes clear that Lepontic creativity was influenced by the uptake and adaptation of foreign types, as seen in many distinctive local artefacts. Thus several diverse finds have come to be defined as “Tessin Type”. There are clear connections not only to the Po valley and Etruria, but especially to the east, where many stimuli to the local style can be found. An active exchange between this region and central Switzerland is noteworthy. At the End of the 5th century, openwork belt hooks give the first clear indication of Celtic influence. These abundant connections can be attributed on the one hand to cultural flux, on the other to the region’s situation on a North-South axis through the Alps. Thereby the alpine Golasecca culture became an important mediator between the Etruscans and the Celts. Its prosperity is illustrated by graves that are well bestowed in quantity and quality, yet are quite egalitarian. Assigning a Celtic origin to the Leponti is caused by Roman historians and does not accord with the cultural development in Tessin. But gradually the nomenclature has become so well established among researchers that we can positively refer to Leponti. Accordingly, the foregoing text describes the Berlin museum’s artefacts with references to the Lepontic culture.