Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, eine grundlegende soziologische Theorie der Geschwindigkeit zu entwickeln. Bei der Entwicklung der Theorie ist die Hauptaufgabe eine soziologische Auseinandersetzung mit Geschwindigkeit. Mit Hilfe dieser soziologischen Theorie der Geschwindigkeit sollen auch mögliche Auswege aus Problemzusammenhängen aufgezeigt bzw. grob angerissen werden. Diese Aufgabe wird in drei Arbeitschritten vollzogen. Der erste Schritt ist eine soziologische Definition der Geschwindigkeit. Dieser Teil besteht aus drei Kapiteln. Das erste Kapitel ist eine Einleitung. Vor der soziologischen Analyse der Geschwindigkeit ist eine Bestandsaufnahme vergangener Forschungen sowohl notwendige Vorarbeit, wie auch relevanter Ausgangspunkt für die Theorieentwicklung. Diese Bestandsaufnahme wird im zweiten Kapitel erfolgen. Der Geschwindigkeitsbegriff wird um eine weitere Facette bereichert, indem die Geschwindigkeit als Merkmal der Gesellschaft selbst angesehen wird. Folglich wird Geschwindigkeit der Gesellschaft selbst, anstatt bloß Geschwindigkeit in der Gesellschaft beschreibbar. Jedoch ist es hierbei noch unklar: Wenn Geschwindigkeit signifikantes Merkmal von „Gesellschaft“ selbst ist, was ist sie eigentlich? Im dritten Kapitel werde ich mit einigen Überlegungen und in Anlehnung an eine zeitsoziologische Perspektive argumentieren: Sicher stellt die Geschwindigkeit der Gesellschaft auch eine Veränderung der Zeitstruktur dar. Aber unter soziologischen Aspekten kann Zeit weder als überwiegend physikalisches oder philosophisches Problem, noch als objektive oder subjektive Tatsache angesehen werden. Vielmehr steht eben der soziale Charakter, die „soziale Zeit“ im Hauptfokus des Interesses. Soziale Zeit ist qualitative Zeit. Strukturierend für „soziale Zeit“ sind eine bestimmte Lage der Gesellschaft und bestimmte strukturell institutionalisierte Formen von Zeit – die Geschwindigkeit der Gesellschaft ist eine bestimmte Form der sozialen Zeit, das heißt: eine „soziale Geschwindigkeit“. Man sollte qualitative soziale Geschwindigkeit von quantitativer physikalischer Geschwindigkeit unterscheiden. Soziale Geschwindigkeit ergibt sich aus einer bestimmten veränderten Zeitstruktur, die als eine Veränderung konkreter Institutionen in Bezug auf die Zeit beobachtet werden kann. Aus einer Analyse veränderter Zeitstrukturen sind elementare Merkmale sozialer Geschwindigkeit zu gewinnen. Nach einer Definition sozialer Geschwindigkeit folgen ein zweiter und dritter Schritt. Im zweiten Schritt wird eine Veränderung der Zeitstruktur geschildert. Die Zeitstruktur wird unterschieden in Alltagszeitstruktur und Lebenszeitstruktur, Veränderungen beider Formen werden jeweils im vierten und fünften Kapitel erläutert. Unterschiede dieser Formen von Zeitstrukturen wurden bereits in vergangenen Analysen ausgiebig dargestellt. Die in diesem Rahmen vorgenommene Analyse soll vielmehr herausstellen, dass beide Formen der Veränderung von Zeitstrukturen ähnliche Ursachen und Konsequenzen haben. Sie lassen soziale Geschwindigkeit von einem gesellschaftlich latenten Phänomen in der sogenannten Beschleunigungsphase zu einem Hauptmerkmal gesellschaftlicher Entwicklung in der Tempophase werden. Die Schilderung der Veränderung von Zeitstrukturen bereitet die Grundlagen für eine Analyse elementarer Merkmale sozialer Geschwindigkeit. Als dritter Teil werden im sechsten Kapitel elementare Merkmale sozialer Geschwindigkeit dargestellt, um schließlich im siebten Kapitel auf durch soziale Geschwindigkeit verursachte Probleme hinzuweisen. Die Veränderung der Zeitstruktur stellt sich tendenziell als Wandel von standardisierten zu flexibilisierten Formen dar, wobei soziale Geschwindigkeit in der flexibilisierten Zeitstruktur aufgrund dreier veränderter elementarer Merkmale der Zeitform an Wichtigkeit gewinnt: Kairologisierung der Zeit, situierte Gleichzeitigkeit und Normalisierung des Risikos. Mit einer deutlichen soziologischen Definition und Analyse der elementaren Merkmale wird soziale Geschwindigkeit grundlegend soziologisch evaluiert, wobei zwei relevante soziale Probleme präzise herausgestellt werden können: Die Problembereiche von Zeitgerechtigkeit und Risiko. Bezüglich der Risikothematik existiert bereits eine große Fülle soziologischer Untersuchungen, die auch unter dem Terminus „Risikosoziologie“ gefasst werden. Wogegen dieser Teil hier eher vernachlässigt wird, können in Bezug auf die Thematik Zeitgerechtigkeit mit einer Theorie sozialer Geschwindigkeit neue Wege aufgezeigt werden. Wenngleich unter Berücksichtigung auf den zur Verfügung stehenden Raum vielleicht weniger Universallösungen zur Problematik von Zeitgerechtigkeit angeboten werden können, so versuche ich mit einer Theorie sozialer Geschwindigkeit Grundbegriffe einer Ökologie der Zeit aufzustellen. Diese zeitökologische Perspektive bietet Anknüpfungspunkte für mögliche anschließende Forschungsvorhaben und stellt insofern eine Überleitung zu weiteren soziologischen Geschwindigkeitsforschungen dar. Eine soziologische Geschwindigkeitstheorie soll die Analyse gesellschaftlicher Realität weiter vertiefen, vorliegende Dissertation möchte dazu einen Beitrag leisten.
One of contemporary society’s main characteristics is the acceleration of many aspects of its social life. Social life becomes more convenient due to increasing velocity, but this transformation also implies a certain business, a hectic pace – thus threatening quality of life in general and causing social problems. Velocity has become a widely debated and controversial issue, which must be more seriously considered as a significant sociological theme. Having set this context, my dissertation attempts to explain velocity with respect to our accelerated lives from a distinct sociological perspective. Consisting of three parts, this dissertation elucidates social problems caused by velocity and proposes steps oriented towards possible solutions. Part 1 (chs. 1, 2, 3 and an excursus) aims at a definition of the very concept of velocity. Previous literature in the social sciences on the subject agrees on the fact that velocity, with respect to social life, refers not only to physical processes but represents particular social situations. Those analyses, in any sense, are inappropriately based on physical conceptions of time and space. In view of this deficiency, the present study first of all confirms the concepts of social time, time-structure and time-politics in terms of a genuine perspective of a sociology of time and then reconstructs the meaning of speed, studying social life qua time-sociological concepts. This thesis points to the fact that velocity in connection with social life does not primarily connote a quantitative relationship between physical time and space, but refers to a social phenomenon, i.e. “social velocity”. Social velocity describes an asynchrony of different agents’ interwoven social actions. Being a qualitative form of social time resulting from a particular time structure, it reflects logics of social action and interaction. If we want to clarify the problematic of social velocity, we have to investigate this particular time structure as well as corresponding forms of social time. Finally, the asynchrony of the interweaving of social actions between different agents, namely social velocity, becomes a conspicuous feature of today’s society. The second part of this dissertation (chs. 4, 5) surveys the transformation of time structures by means of analyses of laws, regulations and materials of empirical research in order to provide the concrete background of social velocity as historical reality. Time structure is thus divided into two dimensions: the time structure of everyday life (ch. 4) and the structure of lifetime on the other (ch. 5). In spite of dimensional differences, it is demonstrated that these two dimensions of time structures change with a similar tendency. That is to say, in the recent 50 years they both transition from structural standardization to structural flexibilization. Based on the investigation of the second part, the third part (chs. 6, 7) further analyzes the form of social time during a transformation of time structure. It argues that the form of social time develops three characteristics in the course of the change of time structure (ch. 6). 1). The kairologization of time (Kairologisierung der Zeit): In a flexibilized time structure, more and more affairs in life gradually lose their set temporal order. People manage their timetable upon their own requirements. Time, in a way, loses its universally binding nature as it increasingly is constructed through individual decisions. Therefore time becomes more non-chronological, that is to say, it becomes more kairological. 2). Situated Simultaneity (situierte Vergleichzeitigung): Due to a kairologization of time, people have their own temporal order of social actions at disposal and society increasingly lacks a common rhythm of life. Consequently, the social interactions are only possible, when the agents fulfill the situated prerequisites of simultaneous emergence of their social actions through temporal coordination. 3). Normalization of Risk (Normalisierung des Risikos): As a consequence of the kairologization of time and situated simultaneity, a temporal order of life has to be established by the individuals themselves and people will confront higher risks during the establishing actions of temporal order of life. Thus, in the last 50 years, the management as well as the governance of risk becomes a considerably important task. In the light of kairologization of time, situated simultaneity and normalization of risk, the asynchrony of the interlacing of social actions between different agents is generalized, that is to say, social velocity becomes a more and more noticeable phenomenon of today’s society. Following the foregoing theoretical elaboration, it should be noticed that the problem of social velocity is not about how fast or how slow people do something; on the contrary, it concerns nothing more than a fairness of time in order to secure the maintenance of a condition of situated simultaneity. For this reason, the present dissertation tries to advance an “ecology of time” (ch. 7). This dissertation wishes to contribute not only a different perspective and understanding of social velocity but also to a category for research which is worthy to be continued in the future.