Der klinische Stellenwert zervikal somatosensorischer Vestibularisafferenzen aus den Bewegungssegmenten der oberen Halswirbel (im Besonderen C2 und C3), wird kontrovers beurteilt. Die Begründung dafür ist, dass zervikal propriozeptive Fehlempfindungen bisher durch keinen objektiven Untersuchungsparameter mit einer klinisch ausreichenden Spezifität und Sensitivität zu objektivieren ist. Der von Holtmann geprägte phasische Untersuchungsansatz den COR zu objektivieren mittels eines motorisierten Stuhls, welcher den Rumpf (Punctum mobile) des Probanden unter kontinuierlicher Registrierung der Augenbewegung und dabei fixiertem Kopf (Punctum fixum) durchrotieren ließ [Holtmann (1989)], hat sich als Messparameter nicht durchgesetzt, da es sich um eine Untersuchung eines Reflexes handelt, welcher einer großen Variabilität unterliegt und somit kaum zu reproduzierbaren Messdaten kommt [Skoglund (1956)]; [Tracey (1979)]; [Hölzl (2009)]. Unter Berücksichtigung der Mehrdimensionalität des vestibulären Systems, entwickelte sich der 1D-Halsdrehtest (HDT) zum 3D-HDT weiter, indem die Exploration nicht nur den horizontalen Anteil eines Nystagmus bestimmte, sondern ebenfalls die vertikalen und torsionalen Anteile. Um die okulären Wechselwirkungen mit allen Kopf-im-Raum-Bewegungen untersuchen zu können wurden von Hölzl alle Freiheitsgrade der Kopfgelenke standardisiert geprüft [Hölzl (2008)]. Hier stellte der Kopf das Punctum mobile und der Rumpf das Punctum fixum dar. Problematisch in diesem Versuchsaufbau ist, dass eine getrennte Beurteilung von Otolithen- und Halswirbelsäulenbeteiligung nicht möglich ist. Der weiterentwickelte 3D-HDT ist vom Ansatz der Dreidimensionalität her interessant, jedoch in seiner Zielsetzung der isolierten Untersuchung der zervikalen vestibulären Afferenzen noch nicht konsequent, da durch das Einnehmen verschiedener tonisch gehaltener Kopfpositionen nicht nur die zervikalen Afferenzen angesprochen werden, sondern die Schwerkraft auch eine Auswirkung auf die Otolithen und Bogengänge hat. Dies hat einen nicht bekannten und bisher nicht messbaren Einfluss auf die Untersuchungsparameter und –ergebnisse. Auf der Suche nach einem geeigneten Parameter haben wir vestibulär gesunde Probanden (n= 49, im Alter von 20 bis 30 Jahren) rekrutiert. Wir haben eine Gruppe mit reversibler zervikaler monophasischer transkutaner Elektronervenstimulation von C1- C3 [C-TENS- Gruppe (n= 22)] und eine Placebo- Gruppe (n= 27) randomisiert und prospektiv untersucht. Ein eigens hierfür konstruierter dreidimensionaler- Rumpfexkursionsstuhl erlaubt uns bei fixierter Kopf-im-Raum- Position (Punctum fixum) sechs unterschiedliche tonische Rumpfexkursionshaltungen (Punctum mobile) (Rumpfante- und Rumpfretroflexion, Rumfkippung und Rumpftorsion nach rechts und links) einzustellen. In diesen sechs veränderten Kopf-zu-Rumpf- Positionen wurde die Nystagmusfrequenz und –amplitude unter statisch-tonischen Bedingungen mittels 3DVideookulographie über mindestens 50 s geprüft. Bei vestibulär Gesunden kann ein zervikotonischer Provokationsnystagmus (C-PN) auf dem 3D- Rumpfexkursionsstuhl nachgewiesen werden. Es zeigte sich ein signifikanter Anstieg (p ! 0,05) der Vertikalnystagmen in ihrer Amplitude und Frequenz durch das Einnehmen einer tonisch gehaltenen Rumpfflexionshaltung im Vergleich zur spontanen Augenbewegungen in Ausgangsstellung der Kopf- Rumpfposition, also ohne zervikale Belastung (SPN= Spontannystagmus). Durch eine placebokontrollierte C-TENS Anwendung wurde im Vergleich zwischen beiden Probandengruppen, ohne Veränderung im Kopf-zu-Rumpf-Winkel (SPN= ohne zervikale Provokation) keine Veränderung in der Videookulographieaufzeichnung der Nystagmen beobachtet. Während tonisch gehaltener Rumpfflexions-, Rumpftorsions- und Rumpfkipphaltung im Gruppenvergleich nach reversibler zervikaler transkutaner Elektronervenstimulation von C1- C3 (C-TENS- Gruppe) zeigte sich eine signifikante Abnahme der Vertikalnystagmen in ihrer Amplitude und Frequenz. Eine signifikante Horizontalnystagmusabnahme zeigte sich für die CTENS- Gruppe in den rumpfkippenden und rumpfflexierenden Haltungen. Es konnte ein Unterschied in der Aussagekraft des Horizontal- und Vertikalnystagmus und in den verschiedenen Rumfposition gefunden werden. Das klassische Untersuchungssetting in der Erhebung des Horizontalnystagmus während einer Rumpftorsion zeigte sich als kein sensibler Untersuchungsparameter in dieser Studie, da er keine placebokontrollierte Veränderung durch die C-TENS Behandlung zeigte. Die Ergebnisse geben Hinweis auf einen „zervikotonischen Provokationsnystagmus“(C-PN) als objektive Antwort auf zervikal provozierende Rumpfexkursionshaltungen. Der C-PN konnte bereits bei vestibulär Gesunden nachgewiesen und durch eine C-TENS-basierte zervikale Nervenstimulation placebokontrolliert moduliert werden, im Rahmen einer Amplituden- und Frequenzabnahme. Dies kann als ein Nachweis einer Mitbeteiligung der zervikalen Afferenzen bei der Gleichgewichtswahrnehmung, v.a. der statisch messenden Muskelafferenzen, gewertet werden. Die kinästhetische Sensibilität, welche durch eine Untersuchung der subjektiven Vertikalen im Raum untersucht wurde spricht die dynamisch wahrnehmbaren Zervikalafferenzen an. Diese wurde durch die C-TENS-Anwendung, im Rahmen eines nicht eintretenden Lernerfolges der CTENS- Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe moduliert. Diese Ergebnisse geben wertvolle Hinweise auf eine Mitbeteiligung der zervikalen Afferenzen bei der vestibulären Kopf- Rumpf-Koordination und bieten in Kombination mit einer zervikalen C-TENS Anwendung einen diagnostischen und therapeutischen Ausblick.
Background: Interdisciplinary research has contributed greatly to an improved understanding of the vestibular system. To date, however, very little research has focussed on the vestibular system’s somatosensory afferences. To ensure the diagnostic quality of vestibular somatosensory afference data, stimulation of the vestibular balance system has to be precluded. Purpose: Sophisticated movements require intra- and extracranial vestibular receptors. The study’s objective is to evaluate an investigation concept for cervico-vestibular afferences (extracranial vestibular receptors) with respect to clinical feasibility. Study Design: A dedicated chair was constructed, permitting three-dimensional trunk excursions (punctum mobile), during which the patients/volunteers head remains fixed (punctum fixum). This chair was evaluated in volunteers without vestibular pathology in a placebo-controlled double blind study. Whether or not a cervicotonic provocation nystagmus (C-PN) can be induced with static trunk excursion is to be evaluated with a randomized test group. Methods: 3D-video-oculography (VOG) was used to record any change in cervico-ocular examination parameters triggered by a head-to- trunk excursion-position. The 3D-trunk-excursion chair insures that intracranial vestibular receptors are not stimulated during static trunk excursion. The occurring nystagmuses were evaluated visually due to the small calibre of nystagmus amplitudes in healthy volunteers. Results and Conclusion: The results demonstrate: A significant increase of the vertical nystagmus (compared to the spontaneous nystagmus (SPN) base line) on the 3D-trunk- excursion chair in static trunk flexion without cervical provocation in all young healthy volunteers (n=49); no influence of placebo-controlled C-TENS on the SPN; a significant difference between vertical and horizontal nystagmuses during static trunk excursion after placebo-controlled C-TENS between C-TENS and control group, except for the horizontal nystagmus during trunk torsion. We hope this cervicotonic investigation concept on the 3D-trunk-excursion- chair will contribute to new diagnostic and therapeutic perspectives on cervical pathologies in vestibular head-to-trunk alignment.