Einleitung: Stressreiche Lebensereignisse im Kindes- und Jugendalter beeinflussen die psychophysische Entwicklung des Menschen und wirken sich unter anderem auf die Fähigkeit zur Emotionserkennung aus. In der vorliegenden Arbeit wurden geschlechtsabhängige Unterschiede in dem Erleben von stressreichen Lebensereignissen sowie in der Erkennung von emotionalen Gesichtsausdrücken untersucht. Auf dieser Grundlage wurde dann analysiert, welcher Zusammenhang zwischen diesen beiden Parametern besteht. Darüber hinaus wurde die Rolle von weiteren Faktoren für die Fähigkeit zur Gesichtserkennung getestet, nämlich Amygdala-Volumina und Persönlichkeitseigenschaften. Methoden: Die zu untersuchenden Daten entstammten der IMAGEN-Studie, einem europaweiten Forschungsprojekt über psychisches Befinden von Jugendlichen. Im Rahmen dieser Arbeit wurden 1657 14-jährige Probanden untersucht. Das Erleben von stressreichen Lebensereignissen wurde mit dem Life-events-questionnaire (LEQ), die Fähigkeit zur Gesichtserkennung mit dem Test Morphed Faces Task (IDENT) und Persönlichkeitsmerkmale mit dem NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO- FFI) erfasst. Die Amygdala-Volumina wurden aus T1-gewichteten MRT-Bildern mit der Software FreeSurfer ermittelt. Bei der statistischen Analyse kamen Mann- Whitney-U-Tests und Kruskal-Wallis-Varianzanalysen zum Einsatz. Ergebnisse: Obwohl sich Jungen und Mädchen, bezüglich der Häufigkeit der gesamten stressreichen Lebensereignisse, nicht signifikant unterschieden, erlebten Mädchen häufiger stressreiche Ereignisse im familiären und körperbezogenen Bereich, während Jungen mehr Konflikte mit den Vorgesetzten und unabhängigkeitsmarkierende Ereignisse erfuhren. Im Hinblick auf die Wertigkeit der Lebensereignisse bewerteten Mädchen sowohl deren Gesamtheit als auch die meisten Kategorien negativer als Jungen. Bezüglich der Fähigkeit zur Gesichtserkennung neigten Jungen signifikant häufiger zur Auswahl negativer Emotionen. Häufigkeit und Wertigkeit stressreicher Lebensereignisse hatten einen Einfluss auf die Emotionserkennung, allerdings unterschieden sich die festgestellten Zusammenhänge in Abhängigkeit von Geschlecht der Probanden und Kategorie der Lebensereignisse. Im Allgemeinen neigten Probanden, die besonders viele stressreiche Ereignisse erlebt hatten, häufiger zur Emotion Angst, während die Wertigkeit der Ereignisse nur bei Mädchen einen solchen Einfluss hatte. Weder Amygdala-Volumina noch Persönlichkeitseigenschaften beeinflussten die Fähigkeit zur Gesichtserkennung signifikant. Schlussfolgerung: Das Geschlecht stellt einen wichtigen modulierenden Faktor für das Erleben stressreicher Ereignisse sowie für die Emotionserkennung in der Adoleszenz dar. Die stärkere negative Ereignisbewertung durch Mädchen könnte einen Grund für die höhere Inzidenz von stressabhängigen Depressionen beim weiblichen Geschlecht darstellen. Hingegen könnte die Neigung von Jungen, negative Emotionen in wenig ausdrucksstarken Gesichtern zu erkennen, mit ihrer höheren Aggressivität korrelieren. Diese Arbeit stellt die erste Untersuchung dar, die einen Zusammenhang zwischen stressreichen Lebensereignissen und der Fähigkeit zur emotionalen Bewertung von Gesichtsausdrücken in der Adoleszenz hervorbrachte. Künftige Studien sollten diese komplexe Beziehung und ihre Rolle bei der Entstehung stressabhängiger Krankheitsbilder explorieren.
Background: Stressful life events in childhood and adolescence influence the psychophysical development and affect the ability of emotion recognition. The aim of the present study was to investigate gender differences in the experience of stressful life events and in the recognition of facial expressions and to analyze the relationship between these two parameters. The role of amygdala volumes and personality characteristics for the ability of emotion recognition was tested. Methods: The test data were taken from the IMAGEN study, a European research project on mental being of young people. In the present work, 1657 14-year-old subjects were tested. The experience of stressful life events was measured with the Life-events-questionnaire (LEQ), the ability of face emotion detection with the Morphed Faces Task (IDENT) and personality traits with the NEO-Five Factor Inventory (NEO-FFI). The amygdala volumes were determined from T1-weighted MR images with the software FreeSurfer. Mann Whitney U-Tests und Kruskal-Wallis analysis of variance were used for the statistical analysis. Results: Although boys and girls did not differ significantly regarding the total amount of stressful events, girls reported more stressful events in the familial and body-related area, whereas boys experienced more conflicts with superiors and independence-marking events. With regard to the valence, girls rated most of the tested events more negative. Regarding the ability of face emotion recognition, boys tended to choose negative emotions significantly more often. Frequency and valence of stressful life events had an influence on emotion recognition; however the observed trends were different depending on subjects’ sex and life events’ categories. In general, subjects who had experienced a particularly large number of stressful events tended to choose more often the emotion fear, while the valence of stressful events had such an influence only on girls. Neither amygdala volumes nor personality characteristics influenced the ability of face recognition significantly. Conclusions: Human´s sex is an important modulating factor in the experience of stressful events and in emotion recognition during adolescence. The stronger negativity of girls in experiencing stressful events may explain the higher incidence of stress- related depression in females. The pronounced tendency of boys to recognize negative emotions even in low expressive faces could correlate with their higher aggressiveness. This work represents the first investigation analyzing the relationship between stressful life events and ability to recognize facial expressions during adolescence. Future studies should explore this complex relationship and its role in causing stress-related diseases.