Im Fokus des Artikels steht das Erzählen von Vergangenheiten in der deutschsprachigen Prähistorischen Archäologie. Ausgehend von theoretischen Überlegungen über das Aussagepotenzial prähistorischer Quellen werden vier Thesen zu den erkenntnistheoretischen Grundlagen des Faches formuliert: (i) archäologische Quellen sind nicht selbstevident, (ii) archäologische Quellen sind fragmentarisch, (iii) eine Rekonstruktion prähistorischer Lebenswirklichkeiten ist nicht möglich, da prähistorische Gesellschaften nur aus einer etischen Perspektive betrachtet werden können, (iv) Vergangenheit ist ein Teil der Gegenwart und kann nicht losgelöst von ihr erforscht werden. Auf dieser Basis wird archäologisches Erzählen als eine sinnstiftende Syntheseleistung definiert, in deren Zuge Funde und Befunde durch theoretische und methodische Überlegungen angesichts des gegenwärtigen Forschungsstandes zu einem in sich kohärenten Konstrukt plausibel miteinander verknüpft werden. Anschließend werden Varianten der Aneignung von Vergangenheit in Form von Eingemeindung und Exotisierung prähistorischer Lebensverhältnisse sowie Typen des historischen Erzählens nach Rüsen, Erzählmuster nach White und das Konzept der Meistererzählung vorgestellt und an ausgewählten Publikationen illustriert. Abschließend wird die deutschsprachige Theoriediskussion vor dem Hintergrund politischer Entwicklungen und fachinterner Strukturen betrachtet und herausgestellt, dass das Wissen um die Narrativität des eigenen Forschens eine zentrale Erkenntnis für eine ethikorientierte Archäologie ist.
This paper focuses on the narrative character of archaeological representations of the past with respect to the debates within German-speaking Prehistoric Archaeology. Based on theoretical considerations about the scientific potential of material remains and archaeological features, four theses regarding the epistemological foundations of the discipline are formulated: (i) archaeological sources are not self-evident, (ii) archaeological sources are fragmentary, (iii) a reconstruction of prehistoric realities is not possible, since prehistoric societies are studied from an etic perspective, (iv) the past is part of the present and cannot be explored without it. Consequently, archaeological narratives are defined as syntheses that link archaeological finds and features through theoretical and methodical considerations in a plausible manner and thus transform the current state of research into a coherent construct. Using illustrative examples, appropriations of the past in the form of incorporation and exoticization as well as types of historical narration introduced by Rüsen, narrative patterns according to White, and the concept of meta-narratives are presented. Finally, the onset of the theoretical reflections in German-speaking Prehistoric Archaeology is discussed against the background of political developments, and it is emphasized that knowledge of the narrativity of one’s own research is key for an ethics-oriented archaeology.