Das Preußische Staatstheater in Berlin unter der Leitung von Gustaf Gründgens wurde nach 1945 vielfach als Insel der Kultur in böser Zeit und als Ort regimeferner Kunsterfahrung beschrieben, und war doch trotz seiner Sonderstellung durch die Schirmherrschaft von Hermann Göring weitgehend kulturpolitisch integriert, konnte von Göring als erste Bühne des Dritten Reiches betrachtet und von Goebbels als Beleg der Gesundung des deutschen Theaters unter nationalsozialistischer Obhut ausgegeben werden. Dieser Widerspruch ist auflösbar, wenn man was bislang kaum geschehen ist den ästhetischen Charakter der Aufführungen selbst in den Blick nimmt. Die Untersuchung muss dabei das komplexe Zusammenspiel zwischen dem jeweiligen künstlerischen Verfahren und den kulturhistorischen wie kulturpolitischen Produktions- und Rezeptionsvoraussetzungen einzelner Aufführungen berücksichtigen. Es reicht nicht aus zu wissen, was auf den Spielplänen stand: Zu untersuchen ist, wie inszeniert und gespielt wurde und was die Zuschauer wie rezipierten. In den Mittelpunkt rückt dabei die Ideologie der Werktreue , die besonders von Gründgens programmatisch vertretene Auffassung, Theaterstücke sollten so inszeniert werden, wie der Dichter sie gemeint hat . Dadurch - so wurde nach 1945 oft argumentiert - schien auch die Theaterkunst vor einer Indienstnahme durch das NS-Regime bewahrt. Die Untersuchung ausgewählter Aufführungen in dieser Studie zeigt, dass dieser - generell schon undurchführbare - Anspruch der Werktreue bei Gründgens als normative und in sich widersprüchliche Produktionsideologie zu betrachten ist, aufgesetzt einem persönlichen Theaterstil, der sich im wesentlichen durch formstrenges, von Realitätsbezügen sich distanzierendes Klassikertheater auszeichnete. Doch gerade weil Gründgens mit der Werktreue-Ideologie den Bezug des Theaters auf die Wirklichkeit leugnete, entging ihm der affirmative Charakter seiner Theaterarbeit in der NS-Zeit. Je weniger Realität seine Inszenierungen enthielten, desto problemloser passten sie in den Kontext der NS- Kulturpolitik. Diese Theaterästhetik war daher weitgehend kompatibel mit der kulturpolitischen Praxis des NS-Regimes: Als Aufgabe des Theaters wurde von der NS-Führung nach gescheiterten Experimenten nach 1933 sehr bald weder die Politisierung der Aufführungsästhetik noch das Schwelgen in kultisch- irrationalen neuen Mythologien betrachtet, sondern genau das, wofür das Preußische Staatstheater unter der Leitung von Gustaf Gründgens in besonderer Weise stand: das werkgetreue Große Theater , Zucht und Klarheit plus ein gerüttelt Maß an geschmackvoller Unterhaltung. Gründgens und die anderen führenden nicht-nationalsozialistischen Theaterleiter und Regisseure arbeiteten nicht, wie später gerne behauptet, gegen das Theater des Dritten Reiches , sondern standen an dessen Spitze.
After 1945 Gustaf Grundgens Berlin Prussian State Theatre was held by many to have been a bastion of culture in terrible times and a place where, apart from the regime s influence, art had been allowed to flourish. On the other hand Grundgens theatre had had an elevated status under the auspices of Hermann Goring, who held it to be the first stage of the Third Reich and presented it as proof of the Nazi healing of the German theatre. This paradox can be resolved by identifying the aesthetic character of the performances and productions something which has been largely overlooked. It is not enough to just know the repertoire of plays: It is necessary to examine within a historical framework surrounding the cultural conditions: how the plays were directed and acted as well as how the audience received them. The concept of Werktreue becomes a focal point of the study: Grundgens position was that a play should be directed in the way the author intended . This adage of holding true to the author s intent as has often been argued after 1945 led to Grundgens theatre being seen as having escaped Nazi ideology by virtue of its artistic purpose and achievement. This study shows that Grundgens Werktreue is a normative pretence that is an impossibility. The examination of a selection of productions shows that Grundgens directing and acting was by and large marked by a superimposed strict, formally distanced and unreal classical theatrical style. Indeed it was his very affirmation of the Werktreue ideology which aided his escaping from facing the consequences of his theatre s strong connection to the Nazi regime: He could thus evade acknowledging the strongly affirmative character of his work during the Third Reich. The less reality there was to be found in his productions, the better they fit into the context of the Nazi cultural politics. This aesthetic was thus largely compatible with the cultural and political practices of the Nazi system: In 1933 after failed theatrical experiments, the theatre s mission was seen by the Nazi command as neither the politicization of the productions aesthetic nor the wallowing in irrational cult new mythologies but rather, exactly that, which the Prussian State Theatre under the direction of Gustaf Grundgens stood for: A theatre where the following could be found: Werktreue , a chaste and purely classical Representative Theatre as well as a healthy portion of tasteful entertainment. Grundgens, and the other leading non-Nazi theatre directors, did not, contrary to what was later claimed, work against the theatre of the Third Reich , but stood at its peak.