Mit den jüngsten subsaharischen Verfassungsreformen seit 2005 wird die Suche nach adäquaten politischen und sozio-ökonomischen Modellen für post-koloniale Staaten fortgesetzt. Dieser Diskurs reicht zurück bis in die Dekolonisierungsphase, steht aber auch im Bezug zu den Transitionen nach 1989. Diese Studie widmet sich den anhaltenden Repräsentationskonflikten, die mit Verfassungsgebungen einhergehen und untersucht dabei besonders die Vertretung verschiedener Gruppen in staatlichen Organisationen, die Sicherung und den Umfang von Grundrechten sowie die Stellung semi-autonomer sozialer Akteure innerhalb von Verfassungen. Alle drei politischen Felder werden vor dem Hintergrund des seit den 1980ern anhaltenden Entwicklungsdiskurses analysiert, der sowohl externe als auch interne Forderungen an staatliche Institutionen rahmt. Als Fallstudie dient Ghanas Verfassungsgebung von 1988-1992. Auf jüngeren Forschungen der Sozialtheorie aufbauend, entwickle ich im ersten Teil ein Aneignungskonzept, das die Analyse von Verfassungen über ihre juridische Bedeutung als oberstes Gesetz hinaus erlaubt. Neben dieser Funktion umfassen sie die Staatsordnung in der Angabe der Gewaltenteilung, den Grundrechtsschutz und schließlich eine symbolisch-integrative Funktion über die Selbstbestimmung der Verfassungsgeber. Ich untersuche, wie internationale Normen in diesen Selbstbestimmungsprozess eingebettet sind und unterscheide dafür auf der Kommunikationsebene einer Verfassung zwei Adressaten: Zum einen die internationale Staatenwelt und zum anderen die interne Bevölkerung. Die inhaltsanalytisch umgesetzte Aneignungsperspektive ermöglicht es, verschiedene Verwendungsweisen internationaler Demokratienormen, Menschenrechte und Modelle der Gewaltenteilung auf nationaler Ebene nachzuvollziehen, die durch den Fokus auf die Interaktion von Regierungen und internationalen Akteuren weniger beachtet wird. Als Akteure der Aneignung unterscheide ich im post-kolonialen Staat zwischen Staats- und Wirtschaftseliten. Inhaber und Vertreter von Chieftaincy- Institutionen bilden eine dazu quer liegende Gruppe, die über gesonderte Legitimationsressourcen innerhalb ihrer lokalen und regionalen Gemeinschaften verfügen und mit staatlichen Institutionen um Zugang zu Entwicklungsressourcen konkurrieren. Die diesen Legitimationsressourcen zugeschriebenen Werte wurden gleichzeitig als Standards für nationale Regierungen in den Verfassungsprozess übertragen. Fünf verschiedene Gruppen haben sich den Verfassungsprozess von 1988 bis 1992 angeeignet, um verbindliche Regeln staatlicher Organisation zu artikulieren: a) Das regierende Regime hat bis zuletzt den Prozess über seine Ressourcen und Schnittstellen mit internationalen Gebern dominiert und verzögert. Die Transition verschaffte ihm Anerkennung gegenüber internationalen Gebern und über eine umfangreiche Präsidialexekutive Kompetenzen nach innen. Trotz eines Anti-Parlamentarismus ließ es das Mehrparteiensystem auf der nationalen Ebene wieder zu. Stabilitätsargumente zugunsten nationaler Entwicklung prägten die Semantik der Regierungsvertreter neben Verweisen auf Menschenrechte zugunsten von Frauen und Kindern. b) Die (urbane) Opposition vertrat besonders in ihrer Kritik seit Mitte der 1980er ein liberales Demokratieverständnis ohne neue Wirtschaftsreformen. Sie eignete sich mit Rückbezug auf die früheren Verfassungen international geteilte negative Menschenrechte an. c) Die Expertenkommission nutzte den internationalen Diskurs des 'Rechts auf Entwicklung' und verband damit ein erweitertes Verständnis sozio-ökonomischer Rechte gegenüber dem Staat. Zugleich erweiterte sie das Verständnis der Gewaltenteilung um die doppelte Exekutive sowie um das Proporzwahlsystem, um den negativen Effekten des einfachen Mehrheitswahlrechts vorzubeugen. d) Innerhalb der Verfassungsversammlung eigneten sich zwei der bis dahin marginalisierten Gruppen die Vorschläge an: Zum einen forderten Landwirte, Frauen und Regionalvertreter nach einer stärkeren Beteiligung an taatlichen Institutionen in Form von Quoten. Zum anderen nutzten Vertreter der 1988 eingeführten District Assemblies die eröffnete Arena der Verfassungsversammlung, um eine vollständige Dezentralisierung zugunsten eigenständiger und selbstverwalteter Entwicklungspolitik einzufordern. e) Während lokale politische Institutionen und Werte als Analogien semantisch in die Artikulation von Selbstverständnissen und Gewaltenteilung einflossen, wurden traditionelle Autoritäten (Chiefs) zum ersten Mal dezidiert von aktiver Parteienpolitik ausgeschlossen. Den Verfassungsprozess haben sich ihre Vertreter insofern angeeignet, als dass sie ihre Institutionen als autonome Räume behaupten konnten, die von den aktualisierten demokratischen Normen der Partizipation aller an gleicher Wahl nicht berührt werden sollten. Die Studie trägt zu drei Forschungsfeldern bei: i) Verfassungsgebungen in „Räumen begrenzter Staatlichkeit“ wurden als Momente der Staatenbildung zugänglich gemacht, innerhalb dessen Handlungsräume staatlicher Institutionen ausgehandelt und angeeignet werden. Verfassungen zeigen nicht nur Gewaltenteilungsmuster an, sondern ordnen auch das Verhältnis des Staates zu semi-autonomen Akteuren und verweisen auf symbolisch-integrative Ressourcen. ii) Als Kaleidoskop zeigen Verfassungsdiskurse konkurrierende Deutungen von Demokratie in subsaharischen multikulturellen Gesellschaften, da internationale Normen vor dem Hintergrund lokaler Normen immer neu interpretiert werden. iii) Die Ausdifferenzierung von Verfassungsfunktionen erlaubt erstens, sie als emanzipative politische Integrationsmomente dort zu untersuchen, wo ihnen wie in post-kolonialen Räumen Wirksamkeit abgesprochen wird. Zweitens wurde mit dem Fokus auf Verfassungen als Entwicklungsinstrument, das heißt als „developmental constitutions“ eine weitere Bedeutungsschicht herausgearbeitet, die über die Unterscheidungen von liberalen und sozialistischen Verfassungen als Legitimationsquellen hinausgeht.
The search for adequate political and socio-economic models continues within recent constitutional reforms in Sub-Saharan post-colonial societies since 2005. This discourse goes back to the period of decolonisation but also to the transitions after 1989. Within this study, I assess the problem of representational crisis that come hand in hand with constitution making processes. Especially, I focus on the representation of different groups within the state, the safeguarding and extent of basic rights as well as the integration of semi-autonomous social actors within constitutions. All three political fields are analyzed against the background of the development discourse, which since the 1980s framed the expectations of external and internal expectations toward the post-colonial state. The constitutional development of Ghana in 1988-1992 as well as references to its reform process since 2009 serves as a case study. I build on the recent theories of appropriation (Aneignung) within social theory to develop an analytical frame, which allows analyzing constitutions beyond their stricter juridical meaning as higher law. Beside this function of constitutions, I differentiate between the function of separation of powers, the provision of extensive basic rights as well as the symbolic integration through self-descriptions of its drafters. I analyze how international norms are embedded within this process of self- determination and subsequently consider constitutions to communicate with the global as well as the local community. This perspective allows for identifying modes of appropriation of international norms of democracy, human rights and models of separation of powers, which are overlooked when concentrating on the interaction of international actors with governments. Below this level of interaction, I differentiate between political and economic elite-factions. Moreover, I include holder and representatives of chieftaincy-institutions, who have access to alternative sources of legitimacy and who compete with the state for development resources. Additionally, values ascribed to these local and regional political institutions are frequently inserted into the discourse of national government. I identified five groups who appropriated the constitution making of 1988-1992 to articulate binding rules for state organizations: a) the governing regime controlled the process from its position as bottleneck between the international donor community and local actors. The transition to democracy secured the Government refreshed international recognition and extensive presidential powers. Although its anti-parliamentarian stance the regime opened for multiparty-competition on the national level. Concurrently, the governments semantic argued for stability to reach development but also used human rights such as rights for women and children to underpin its claim for legitimacy. b) The (urban) opposition since the mid-1980s represented a liberal understanding of democracy without new economic models. The groups combined international human rights standards with models of former Ghanaian republics against the human rights abuses of the regime. c) The expert commission explicitly referred to the international discourse of ‘right to development’ and associated it with extensive social and economic rights toward future Ghanaian politics. Additionally, it introduced concepts of a power-sharing double executive and proportional voting to minimize the negative effects of simple majority voting, which, however, were later rejected by the consultative assembly. d) Two formerly marginalised groups appropriated the process within the consultative assembly on base of arguments: First, peasants, women and regional actors claimed more representation within state institutions by demanding for constitutionally secured quotas. Second, representatives of the newly introduced local assemblies demanded the complete decentralization and distribution of state resources in order to fully participate in development. e) While local political institutions and values served as analogies within self-understandings and separation of powers as well as means of development, holders of chieftaincy-offices were for the first time excluded from active party politics. However, its holders and representatives appropriated the constitution making by securing autonomous space free from formal constitutionally guarded intervention as well as from the measurement of the institutions by democratic norms (universal election and participation of all gender). With this analysis of arguments I add to three research fields: i) constitution-making in areas of limited statehood was accessed as sites of state-formation within which spaces of capacities are negotiated, acting as means to converge means to govern in the long term. Constitutions not only separate powers but also arrange the relation to semi-autonomous fields and generate sources of symbolic integration. ii) In the sense of a kaleidoscope constitutional discourses disclose competing meanings of democracy in Sub- Saharan multicultural societies, where international norms are interpreted by local standards and not always only through internationally recognized experts. iii) The functional differentiation of constitutions allows for assessing their political potential as emancipative integrational moments within post-colonial societies. Moreover, the study elaborates on additional layers of constitutional meanings as instruments of development and thus goes beyond their ascribed liberal or socialist meanings.