Phänomene der Immersion gehen häufig mit dem Wirkungsversprechen einher, Rezipierende möglichst komplett in eine Umgebung, Fiktion oder Parallelwelt einzutauchen. Insbesondere der Topos einer ‚totalen‘ Immersion suggeriert, dass Rezipierende physisch, psychisch oder emotional derart eingenommen werden, dass sie nicht nur das Vermögen verlieren, zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden, sondern auch, dass ihr Reflexionsvermögen zugunsten eines unmittelbaren, intensiven Erlebens eingeschränkt werde. Die vorliegende Studie zeigt am Beispiel immersiven Theaters jedoch, dass es gerade die emotionale Involvierung ist, die Prozesse der Reflexion auslöst – und eine solche, den Diskurs prägende, binäre Denkfigur die Komplexität zahlreicher Immersionsphänomene deshalb nicht angemessen erfassen kann. Vor dem Hintergrund der transdisziplinären Immersionsforschung differenziert die Studie zunächst zwischen immersiven Aufführungsdispositiven und immersivem Theater im engeren Sinn. Letzteres zeichnet sich dadurch aus, dass Zuschauer:innen nicht nur in einen multisensorischen Erfahrungsraum, sondern zugleich in eine geschlossene, gestaltete Weltversion eingelassen werden. Für die Analyse der Publikumsinvolvierung im immersiven Theater wird eine polyperspektivische Szenen- und Situationsanalyse vorgeschlagen. Diese fokussiert anhand ausgewählter Sequenzen die Relation von Aufführungsdispositiv und Zuschauer:innen im Hinblick auf konstellierte Selbst-/Weltverhältnisse. Ausgehend von der These, dass die verschiedenen Modi der Involvierung (räumlich, haptisch-taktil, olfaktorisch, figurenperspektivisch oder handlungsbezogen etc.) wirkungsästhetisch auf Vereinnahmung zielen, zeigen die Analysen, wie Zuschauer:innen z.B. von Geruchs- oder Soundwahrnehmungen derart affiziert werden können, dass es sie situativ zu einer bestimmten Re-Aktion drängt. Prozesse der Vereinnahmung werden dabei nicht nur konstitutiv reziprok gedacht, sondern in ihren vielschichtigen, hochgradig ambivalenten Wirkungen beschrieben. Über das Konzept der Vereinnahmung und die Analyse vereinnahmender Publikumsinvolvierung wird eine affekttheoretische Perspektive auf immersives Theater plausibilisiert. Die Studie nimmt damit nicht nur eine wichtige, korpusgebundene Präzisierung des umbrella-Phänomens immersive theatre vor. Sie leistet nicht zuletzt über die Integration von Zuschauer:innen-Interviews zudem eine methodische Erweiterung etablierter Strategien der Aufführungs- und Inszenierungsanalyse und zielt mit dem Konzept der Vereinnahmung auf eine Theoriebildung für Prozesse der Publikumsinvolvierung im Gegenwartstheater.