Einleitung Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Impfungen und dem Rückgang impfpräventabler Krankheiten auf Bevölkerungsebene sind vielfach begrenzt durch fehlende Möglichkeiten, epidemiologische Kennziffern über hinreichend lange Zeiträume beobachten zu können. Ziel vorliegender Arbeit war es, einen Zusammenhang zwischen der Einführung von Impfungen einerseits und der Morbidität und Mortalität an Diphtherie, Pertussis, Poliomyelitis und Tetanus in Deutschland andererseits herauszuarbeiten. Methodik Es wurden Fall- und Sterbefall- sowie Bevölkerungsdaten der Jahre 1892–2011 recherchiert und ermittelt, inwiefern Einschränkungen bei ihrer Vergleichbarkeit bestehen, sowie Inzidenz, Mortalität und Letalität über mehrere Jahrzehnte berechnet. Weiterhin wurden Informationen über Impfwesen und Surveillance im Deutschen Reich, der DDR und der BRD sowie Gesamtdeutschland recherchiert und schließlich segmentierte Zeitreihenanalysen durchgeführt. Ergebnisse Während sich in der DDR mit Einführung der Pflichtimpfungen für Kinder gegen Diphtherie und Tetanus 1961 der Rückgang der Inzidenz und Mortalität beschleunigt hat, ist bei den Impfempfehlungen für Kinder 1974 in der BRD ein solcher Zusammenhang nicht zu beobachten. Für die freiwillige inaktivierte Poliomyelitis-Impfung (IPV) sind weder in der DDR (1958), noch in der BRD (1954) Zusammenhänge mit den Veränderungen der Morbidität und Mortalität an Poliomyelitis ermittelbar. Dagegen ging mit der Einführung der oralen Poliomyelitis-Impfung (OPV) in der DDR (Pflicht 1961) und der BRD (freiwillig 1961) ein deutlicher Rückgang der Inzidenz und Mortalität einher. Bei Pertussis kann für die Inzidenz mangels ausreichend langer Beobachtungszeiträume bei Einführung des Ganzkeimimpfstoffs weder für die BRD (Empfehlung 1969), noch die DDR (Pflicht 1964) eine Aussage getroffen werden. Die Mortalität sank bereits vor Einführung der Impfung. Auch die erneute Impfempfehlung im wiedervereinigten Deutschland (1991) und die Einführung azellulärer Impfstoffe (1994) kann mangels bundesweiter Meldedaten nicht bewertet werden. Schlussfolgerungen Fall- und Todesfalldaten liegen für die Anfangsjahre der Erfassung nicht nach Alter und Geschlecht vor, daher konnte keine Alters- und Geschlechtsstandardisierung vorgenommen werden. Trotz methodischer Limitationen konnten die Analysen differenzierte und plausible Zusammenhänge aufzeigen: Mit Einführung der Pflichtimpfungen gegen Diphtherie und Tetanus in der DDR wurde die Krankheitslast effektiver gesenkt als mit Einführung der freiwilligen Impfungen bzw. Impfempfehlung in der BRD. In beiden Regionen konnte das Inzidenz- und Mortalitätstief gehalten bzw. der Rückgang der Inzidenz und Mortalität beschleunigt werden. Zudem zeigt sich, dass OPV auf Bevölkerungsebene wirksamer war als IPV. Obwohl eine Einschätzung des epidemiologischen Nutzens der Pertussis-Impfung mit vorliegendem Datenmaterial schwer fällt, ergeben Unterschiede zwischen BRD und DDR hinsichtlich der (geschätzten) Inzidenzen in den 70er- und 80er-Jahren bei unterschiedlichen Impfschemata Hinweise auf einen epidemiologischen Nutzen der Impfung.
Introduction A lack in sufficient long-term epidemiological data has resulted in limited evidence with regard to the correlation of vaccines and vaccine preventable diseases at population level. Aim of this study was to determine the relationship between vaccination programs against diphtheria, pertussis, poliomyelitis and tetanus and the respective incidence and mortality in Germany. Methods Case and death data for the respective infectious diseases as well as population data was collected (1892–2011) and their comparability examined. Incidence and mortality were assessed; information on the implementation of vaccination and surveillance was gathered. In addition, interrupted time series analyses were done to ascertain the correlation of vaccination program implementation and incidence, mortality, and lethality, respectively. Results While there is evidence that the pace of decline in diphtheria and tetanus incidence and mortality in the GDR was accelerated by the implementation of compulsory vaccination schemes for children in 1961, no such correlation can be observed for the vaccination recommendations estab- lished in the FRG in 1974. For both – GDR (1958) and FRG (1954) – correlations with regard to the implementation of the voluntary vaccination with inactive poliomyelitis vaccination and a change in morbidity and mortality could not be assessed. However, the introduction to oral poliomyelitis vaccination in the GDR in 1961 (compulsory) and the FRG in 1960 (voluntary) lead to a distinct decrease in incidence and mortality. Due to the short observation period for whole-cell pertussis vaccine no conclusion can be drawn regarding incidence, neither for FRG (recommendation 1969) nor for GDR (obligatory 1964); mortality levels had begun to decline prior to the start of the respective vaccination programs. Due to data gaps, the renewed recommendation after the German unification in 1991 and the introduction of acellular vaccines (1994) cannot be assessed. Conclusions Due to missing case and death rates by age and sex in earlier years, no standardization was done. In spite of methodological constraints, the analysis was able to identify plausible correlations: With implementation of compulsory vaccinations for diphtheria and tetanus in the GDR the burden of disease was lowered more effectively than by voluntary vaccinations based on recommendations in the FRG. Both regions were able to maintain and accelerate the decline in incidence and mortality. There is evidence that the OPV is more effective than IPV at population level. Due to data restrictions the impact of pertussis vaccinations on the incidence thereof in both regions was not ascertained. However, the different epidemiological indicators for the FGR and the GDR are most likely due to the differing schemes and coverage of vaccination in the 70s and 80s.