Die medikamentös-induzierte immunhämolytische Anämie (DIIHA) ist eine seltene, aber schwerwiegende Nebenwirkung einer Arzneimitteltherapie. Sie betrifft sowohl Erwachsene als auch Kinder, und geht bei Letzteren mit einer Letalität von bis zu 50% einher. Rechtzeitig erkannt, hat die DIIHA eine sehr gute Prognose, da die Hämolyse nach Weglassen des auslösenden Agens in der Regel selbstlimitierend ist. Es gibt jedoch eine Reihe von Faktoren, die zu Problemen in der Diagnosestellung führen. So ist das Krankheitsbild vielen Medizinern wenig oder nicht bekannt. Ferner sind die klinischen Symptome sehr variabel und die Diagnostik erfordert Erfahrung und wird nur in wenigen immunhämatologischen Speziallaboren vorgehalten. Seit der Erstbeschreibung einer DIIHA 1953 wurden bis dato mehr als 130 Substanzen als Auslöser beschrieben, die Mehrzahl davon nur in einzelnen Fallberichten oder Fallserien. Die vorgelegte Arbeit belegt anhand von Erstbeschreibungen die Bedeutung von Röntgenkontrastmitteln (Iomeprol und Iohexol) als Auslöser akuter und schwerer Immunhämolysen. Erstmals wurde ferner nachgewiesen, dass Etoricoxib, ein Cyclooxogenase-2-Hemmer, eine akute immunhämolytische Anämie (IHA) verursachen kann. Die Häufigkeit bestimmter Medikamente als Auslöser einer DIHA hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert. Während in den USA in den 1970er Jahren fast ausschließlich hochdosiert verabreichtes Penicillin und alpha-Methyldopa als Auslöser einer DIIHA diagnostiziert wurden, haben in den letzten Jahrzehnten vor allem Cephalosporine der zweiten und dritten Generation beide Substanzen vollkommen abgelöst. Entsprechende Daten zum Spektrum der mit einer DIIHA assoziierten Medikamente für Deutschland fehlten bislang und wurden erstmals im Rahmen der vorliegenden Arbeit dargelegt. Ferner wurde in der Berliner Fall-Kontroll-Surveillance-Studie (FAKOS) erstmals systematisch das Risiko von Medikamenten für die Entwicklung einer IHA untersucht. In dem untersuchten Kollektiv der Berliner FAKOS bzw. der im Immunhämatologischen Referenzlabor des Instituts für Transfusionsmedizin der Charité – Universitätsmedizin Berlin zwischen 1996 und 2015 untersuchten Proben von Patienten mit IHA wurden übereinstimmend Diclofenac, Piperacillin, Ceftriaxon und Oxaliplatin als häufigste Ursache für eine DIIHA identifiziert. Die Arbeit belegt damit die Bedeutung dieser Medikamente als potentielle Auslöser einer IHA. Die Pathogenese der DIIHA ist komplex und bisher nicht geklärt. Ob das Risiko einzelner Substanzen, eine DIIHA auszulösen, unterschiedlich ist, oder ob es individuelle prädisponierende Faktoren gibt, die zur Immunisierung und nachfolgender Bildung von medikamenteninduzierten Antikörper führen, ist unklar. In einer Fallserie von Patienten mit Piperacillininduzierter Immunhämolyse wurde erstmals eine mögliche Assoziation zwischen dieser und Patienten mit Mukoviszidose hergestellt. In der anschließenden ersten prospektiven Beobachtungsstudie an einer Kohorte von Patienten mit Mukoviszidose wurde diese Beobachtung bestätigt. Es konnte dadurch erstmals gezeigt werden, dass die Prävalenz Piperacillin-abhängiger Antikörper bei Patienten mit Mukoviszidose um das ca. 1000-fache gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöht ist. Ferner wurde bestätigt, dass neben den akuten und schweren Verläufen einer PIIHA, auch subklinische Hämolysen auftreten, die vermutlich in der Praxis häufig nicht erkannt werden. Die vorliegende Arbeit lieferte wichtige Erkenntnisse für die Sicherheit von Patienten mit wiederholter Exposition gegenüber bestimmten Medikamenten, die besonders häufig eine DIIHA verursachen. Dies trifft in besonderem Maße auf Patienten mit Mukoviszidose und repetitiver Piperacillingabe zu. Diese sollten auf klinische und laborchemische Zeichen einer Hämolyse überwacht werden. Im Falle eines positiven direkten Coombstest sollten die Patienten auf das Vorhandensein von Piperacillin-abhängigen Antikörpern untersucht werden. Eine wesentliche Rolle im Rahmen der weiteren Erforschung der immunologischen Pathomechanismen, die zu einer DIIHA führen, könnten der Nachweis und die Charakterisierung von medikamentenspezifischen Lymphozyten spielen. Ferner könnte die systematische Untersuchung prädisponierender Faktoren zur Risikoabschätzung des Auftretens einer DIIHA von Bedeutung sein.