Der Mathematikunterricht bietet verschiedenen Schülerinnen differenzielle Möglichkeiten, sich mathematisches Wissen und ein mathematisches Bewusstsein anzueignen und zu akkumulieren. Dadurch nimmt der Mathematikunterricht Einfluss auf die Chancen der späteren gesellschaftlichen und beruflichen Teilhabe der Schülerinnen. Dieser Arbeit liegt die Annahme zu Grunde, dass diese Unterschiede nicht bloß Abbilder unterschiedlicher kognitiver Leistungspotenziale sind, sondern entlang soziologischer Faktoren wie der sozialen Schichtzugehörigkeit oder Migration sozial konstruiert werden. In den Fokus werden hier speziell die schichtspezifischen Erwartungen genommen, die dazu führen, dass die Schulmathematik für unterschiedliche soziale Gruppen unterschiedlich rekontextualisiert wird. Das heißt, dass mathematisches Wissen entsprechend Vorstellungen über vermeintliche Eigenschaften und Bedürfnisse der Schülerinnen unterschiedlich strukturiert und mit unterschiedlichen pädagogischen und didaktischen Strategien vermittelt wird. Diese theoretische Grundannahme wird in dieser Arbeit durch die Bildungssoziologie BASIL BERNSTEINs, speziell der Theorie des pedagogic device begründet und systematisiert. Anhand von Interaktionsanalysen im Mathematikunterricht an Schulen, an denen die Schülerinnen im Allgemeinen mit negativen Erwartungen konfrontiert werden, wird die Theorie des pedagogic device in empirischen Beispielen rekonstruiert. Diese Analysen werden durch die Einbindung von Begriffen der Systemisch-funktionalen Linguistik (SFL) für die interaktive Mikroebene verfeinert. In der Untersuchung im Mathematikunterricht einer Schule in einem "Problemkiez" in Barcelona, lässt sich so die Wirkweise des pedagogic device in Mikro-Interaktionen nachzeichnen. In einem nach vermeintlicher Leistungsstärke extern differenzierten Unterricht zeigt sich, wie hier der Mathematikunterricht die Schülerinnen der vermeintlich schwachen Leistungsgruppe auf alltägliche und manuelle Tätigkeiten vorbereitet und das vermittelte Wissen auch strukturell auf diesen Bereich beschränkt. In der vermeintlich leistungsstarken Schülergruppe werden hingegen Vermittlungsstrategien angewandt, die das Wissen und auch die Lernformen für den Erwerb einer durch Denkarbeit betriebenen Mathematik anschlussfähig machen. Die Schule produziert so entsprechend der Arbeitsteilung unterschiedlich spezialisierte Subjekte. In einer Hauptschule in einem Berliner "Problemkiez" zeigt sich hingegen, dass der Mathematikunterricht auf gar keine Form von spezialisiertem Wissen oder spezialisierter Tätigkeit ausgerichtet ist. Vielmehr entfaltet der Unterricht hier eine ausschließlich auf die Regulation des sozialen Verhaltens zielende Wirkung. Unter Einbeziehung der Ideologiekritik nach SLAVOJ ŽIŽEK konnte aufgezeigt werden, wie dieses Ergebnis nicht der Wirkweise des pedagogic device widerspricht, sondern dass die Produktion von für die Arbeitsteilung "unbrauchbaren" Subjekten ein konstitutives Moment gerade eines Schulsystems ist, welches Bildung zum Zwecke des Funktionierens der gesellschaftlichen Arbeitsteilung gewährleisten soll. Aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Theorien konnte so ein Beitrag zu einer soziologischen Theorie des Unterrichts geleistet werden, der weit über die Beschreibung des Phänomens eines benachteiligenden Effekts von schichtbedingten geringen Leistungserwartungen hinausweist. Die unternommene Theoriebildung leistet so einen anschlussfähigen Beitrag zur Entwicklung einer allgemeinen Soziologie des Unterrichts.
Mathematics classrooms offer students different opportunities to acquire and accumulate mathematical knowledge and consciousness. Thereby, mathematics classrooms affect students' prospects for their social and vocational participation as adults. The thesis is based on the premise that such differences do not arise due to varying cognitive potentials, but that they are socially constructed along sociological variables, such as class or migration. The focus is particularly on expectations that affect how mathematics is recontextualised differently for different social groups. This means that according to apparent charateristics and needs of the students, mathematical knowledge is structured differentially, and different didactical and pedagogic strategies are chosen. The thesis builds on BASIL BERNSTEIN's sociology of education, particularly the theory of the pedagogic device, in order to substantiate these assumptions. The thesis empirically reconstructs the theory of the pedagogic device by means of interactional analyses of mathematics classrooms. These analyses are refined by integration of concepts from Systemic Functional Linguistics (SFL). In this way, the workings of the pedagogic device could be retraced through investigations of mathematics classrooms in a school situated in a deprived area in Barcelona. This school streams students according to their supposed mathematical abilities. The analysis reveals how supposedly weak students are prepared for mundane and manual activities while also the mathematical knowledge is structured accordingly. In the group of supposedly stronger students, the teacher employs teaching strategies that make knowledge and learning adaptable for the acquisition of a rather intellectually driven form of mathematics. In this way, school produces subjects who are specialised according to the division of labour. Quite contrarily, in a Hauptschule in a deprived area in Berlin, the analysis reveals mathematical instructions that appear not to create a trajectory towards any form of specialised knowledge or specialised activity. In fact, instructions unfold an impact that is solely directed towards the social regulation of the students' behaviours. Taking into account SLAVOJ ŽIŽEK's ideology critique, it can be shown how this finding does not contradict the general workings of the pedagogic device, but rather points towards its constitutive moment. The analysis reveals how the production of subjects who are "disposable" for the division of labour is not only characteristic but constitutive of a school system whose general function is to ensure the operation of the division of labour. The interaction of the different theories enables the thesis to point far beyond an explanation for the phenomenon of marginalising effects of class mediated low expectations. In this way the thesis makes a feasible contribution to the development of a general sociology of instruction.