Das Leerkauen der Pferde ist definiert als eine horizontale Kaubewegung außerhalb der Futteraufnahme, nicht zu verwechseln mit der Unterlegenheitsgebärde. Das Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Bedeutung des Leerkauens aus Sicht der Physiologie und Ethologie zu untersuchen und Rückschlüsse auf Befindlichkeiten zu ziehen. Die Untersuchungen teilen sich in drei Abschnitte: 1\. Bei wildlebenden Pferden in Dülmen wird beobachtet, in welchen Situationen Leerkauen auftritt. Es kann keinerlei Bezug zu Alter, Geschlecht oder Rangposition festgestellt werden. 2. Zehn Dressur- und Springpferde werden jeweils über fünf Tage am Boden trainiert und ihr Verhalten bei der Bewältigung unbekannter Aufgaben analysiert. Es kann weder eine Erhöhung der Herzfrequenz noch ein Anstieg an Stresshormonen aus Speichelproben nachgewiesen werden. 3. An Circuspferden zeigte sich, dass die Kautätigkeit bei Pferden ohne Mundstück im Maul im Vergleich zu der Kautätigkeit mit Mundstück im Maul bzw. zusätzlich mit Ausbindern jeweils erhöht war. Für das Leerkauen sind folgende Verhaltensmerkmale charakteristisch: Die Lippen sind leicht geöffnet, die Zähne nicht sichtbar; Mahlbewegung ist erkennbar; die Ohren sind seitlich nach hinten gestellt, mit der Öffnung nach unten; der Hals ist gestreckt; während des Leerkauens ist an Hals und Schweifrübe häufig eine Abwärtsbewegung erkennbar; die Augen sind geöffnet, häufiger Lidschlag. Parallel zum Leerkauen treten weitere Verhaltensweisen aus dem Bereich des Fress- und Komfortverhaltens auf. In einem theoretischen Modell wird versucht, die Situation während des Leerkauens zu erklären. Dafür wird vorausgesetzt, dass Selbsterhaltung eine Grundeigenschaft von Lebewesen ist, für deren Erhalt Bedarfsdeckung und Schadensvermeidung nötig sind. Hieraus resultiert eine Motivation, sich mit der Umwelt auseinanderzusetzen, was zu einer emotionalen Bewertung sowohl der Umweltreize als auch der eigenen Bewältigungsfähigkeit führt. Die Bewertung der Umweltreize erfolgt zu Beginn, während und bei Abschluss der Handlung. Auf etwas Zugehen spricht für funktionell für erwünscht, etwas Meiden für funktionell für unerwünscht. Die Erfahrung ausreichender Bewältigungsfähigkeit vermittelt emotionale Sicherheit und führt zu Entspannung, ausbleibende Bestätigung dagegen zu Unsicherheit und Anspannung. Bei der Bodenarbeit wird eine Begegnungsphase, bei der Meiden (Motivation A) dominiert, von einer nachfolgenden Lernphase, bei der das Pferd nach einer Belohnung strebt (Motivation B), unterschieden. Mit einem für das Pferd unspezifischen Reiz schafft der Trainer eine zunächst unerwünschte Situation, die beim Pferd eine Anspannung bewirkt. Ein Wegbleiben des Reizes nach erfolgreicher Bewältigung der Aufgabe führt zu einer nachfolgend erwünschten Situation für das Pferd. Die Erfahrung ausreichender Bewältigungsfähigkeit vermittelt dem Pferd Sicherheit und führt zu Entspannung. Eben in dieser Übergangsphase von Anspannung zu Entspannung zeigt sich das Leerkauen. Bei Wiederholung der Übung wird der unspezifische Reiz zu einem spezifischen Reiz: Motivation A weicht Motivation B, das Pferd lernt. Die Erfahrung unzureichender Bewältigungsfähigkeit, die zuvor zu emotionaler Unsicherheit und Anspannung geführt hat, bleibt aus. Ohne vorangehende Anspannung mit nachfolgender Entspannung erfolgt auch kein Leerkauen mehr. Die Abnahme der Leerkautätigkeit während mehrtägiger Bodenarbeit war nachweisbar. Bei den wildlebenden Pferden in Dülmen kann aufgrund der Komplexität der Umwelt keine saubere Aufarbeitung des Leerkauens erfolgen. Bei der Bodenarbeit ist das Leerkauen immer in Übergangsphasen von Anspannung zu Entspannung zu beobachten. Seine Bedeutung ist das sichtbare Erreichen eines Zustandes reduzierter Aktivität und somit das Schaffen der Voraussetzung für das Aufkommen einer neuen Handlungsbereitschaft. Aus ethologischer Sicht ist das Leerkauen bei der Bodenarbeit ein sichtbares Zeichen des Spannungsabbaus. Aus physiologischer Sicht bewirkt die Kaubewegung eine Aktivierung des Parasympathikus. Auch das Leerkauen trägt somit je nach Dauer der Kautätigkeit mehr oder weniger stark zur Entspannung bei, was unser theoretisches Denkmodell untermauert. Das Erreichen eines Zustandes reduzierter physischer und psychischer Aktivität wird begünstigt und in der Folge das Auftreten neuer Aktivitäten ermöglicht.
“Leerkauen” in horses is defined as a horizontal chewing movement without feeding and should not be mistaken as an inferiority gesture. The aim of the present study is to analyse the meaning of “leerkauen”′ from the physiologic and ethologic side and to draw resulting conclusions. The examinations are divided into three parts: 1\. We observed situations of “leerkauen” which occured in the wild living horses from the Merfelder Bruch in Dülmen/Germany and could not find any correlation to age, gender or hierarchy position. 2. Ten dressage and jumping horses were trained from the ground for five days each, and we analysed their behaviour during solving unknown tasks. Neither heart frequency nor salivary stress hormones increased significantly. 3. In circus horses the chewing in horses which wore no bit was more frequent than in horses which wore a bit or an additional bearing rain. “Leerkauen” is characterized by the following behaviour: The lips are slightly opened, the teeth hidden; a grinding movement is recognizable; the ears are put back with their openings showing downward; the neck is craned; during “leerkauen”the neck and the tail root are often lowered; the eyes are opened with frequent blinking. The “leerkauen” is often accompanied by other patterns of feeding and comfort behaviour. We tried to explain the situation during the “leerkauen”by means of a theoretical model. Under the précis that self- preservation is a fundamental feature of all creatures which requires fulfillment of demands and prevention of damage. This results in motivation to deal with the environment which leads to an emotional appraisal of external stimuli as well as of the own coping skills. The appraisal of external stimuli takes places before, during and on conclusion of an action. To step up to something argues for functionally desirable, to avoid something for undesirable situations. The experience of sufficient coping skills procures emotional security and leads to relaxation, but absence of affirmation results in incertainty and tension. During the training from the ground an encounter phase with predominant avoidance (motivation A) is distinguished from a consecutive learning phase where-as the horse aspires for a reward (motivation B). By means of an unspecific stimulus the trainer creates an initially unwanted which causes stress to the horse. The absence of the stimulus after the successful completion of the task results in a consecutive desired situation for the horse. The experience of sufficient coping skills procures security and leads to relaxation. Just during this transitional phase from tension to relaxation the horses show the “leerkauen”. By a repetition of the task the unspecific stimulus becomes a specific stimulus: motivation A yields motivation B, the horse is learning. The experience of insufficient coping skills which formerly has led to emotional insecuritiy and tension is lacking. Without a preceding tension with consecutive relaxation the “leerkauen” is lacking. Therefore the frequency of “leerkauen”decreased during a five-day training from the ground. The wild living horses in Dülmen are exposed to an environmental complexity and therefore a proper refurbishment of “leerkauen”cannot take place. During the training from the ground the ′”leerkauen”is always seen in transitional phases from tension to relaxation. Its meaning is the visible achievement of a state of reduced activity and therefore a precondition for the beginning of a new readiness for action. From an ethologic point of view the “leerkauen” during the training from the ground is a visible sign of stress relief. From a physiologic point of view the chewing movement causes a parasympathetic activation. Therefore the “leerkauen” dependent on time contributes to a stress relaxation which supports our theoretical model. The achievement of a state of reduced physical and psychic acitivity is endorsed and the beginning of new activities is enabled.