Die inzwischen zahlreichen internationalen Studien zu Partnerschaft und Sexualität inhaftierter Menschen, insbesondere aber auch zu sexuellen Gewalterfahrungen im Gefängnis – von sexuell anzüglichen Bemerkungen über die Gewährung von Schutz im Austausch für sexuelle Gegenleistungen bis hin zu einzeln oder gemeinschaftlich begangenen Vergewaltigungen – belegen das bekannte Dilemma inhaftierter Männer im Umgang mit der deprivierten eigenen Sexualität, als auch im Spannungsfeld der sexuellen Interessen ihrer Mitinsassen. Die Prävalenzraten sexueller Viktimisierung sind insbesondere in Staaten mit hohen Inhaftierungszahlen respektive Überbelegung der Gefängnisse hoch. Die in der soziologischen Forschung ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lange Zeit gültige Deprivations-Theorie, mit der das Verhalten Inhaftierter auch hinsichtlich deren sexueller Kontakte zu erklären versucht wurde, trat später in Konkurrenz mit dem importation-Modell von IRWIN & CRESSEY (1962), welches davon ausgeht, dass außerhalb des Gefängnisses geltende subkulturelle Normen und Gebräuche durch Inhaftierte in die Lebenswelt des Gefängnisses importiert werden und dort deren Verhalten bestimmen. Die hier vorgestellte Studie gibt Auskunft über eine im Jahr 2010 in der Berliner Justizvollzugsanstalt Tegel durchgeführte quantitative Befragung von 60 Insassen mit mehrheitlich Langzeitstrafen und stellt neben der soziodemografischen und forensischen Anamnese sexologische Daten zu Partnerschaftsstatus, sexueller Orientierung, sexuellem Interesse, Masturbationshäufigkeit und begleitenden Fantasien, aber auch zu konsensualen sexuellen Kontakten für einen Zeitraum vor und während der Inhaftierung vor. Hinsichtlich der Annahme, dass sich die Inhaftierung im Sinne eines Deprivationseffektes auf die Libido der Insassen auswirkt, konnte anhand der hier referierten Ergebnissen die (partielle) Invalidation der Deprivations- Hypothese abgeleitet werden. Daten aus den wenigen wissenschaftlichen Untersuchungen kriminologischer Arbeitsgruppen zu Haftbedingungen bzw. zur Viktimisierung im bundesdeutschen Strafvollzug geben aktuell nur punktuell Auskunft über das Ausmaß sexueller Gewalt in Justizvollzugsanstalten einzelner Bundesländer. All diesen Studien aber ist gemein, dass sie mit Bezug auf den deutschen Justizvollzug von einem gewissen, wenn auch eher geringen Grad davon ausgehen, dass Belästigungen, Gewalterfahrungen und individuelles Leiden im Kontext sexueller Selbstbestimmung den Alltag inhaftierter Männer bestimmen. Mit Hilfe der hier vorgestellten Untersuchung konnten erstmals Daten zu Inzidenz und Prävalenz non-konsensualer sexueller Kontakte innerhalb einer geschlossenen Justizvollzugsanstalt im Bundesland Berlin erhoben werden.
A literature review of international studies on either sexuality or exposure to sexual violence in prison suggests that inmates face various forms of deprivation and sexual victimisation and points to high prevalence rates, especially in countries with a high rate of incarceration and overcrowding in prisons. No single concept pervades the early literature about prison culture and inmate sexuality more than deprivation. According to this concept, the basic structure of inmate culture in general and inmate sexual culture in particular is a response to multiple deprivations. By contrast the importation model proposed by IRWIN & CRESSEY (1962) views the prison culture as primarily the result of the importation of attitudes, norms and mores inmates brought into prison from the outside world. The following thesis includes the results of research conducted in the Berlin-Tegel prison in 2010, in which 60 long- term inmates answered questionnaires regarding their partner status, sexual orientation, sexual interests, frequency of masturbation and accompanying fantasies, as well as their history of consensual sexual relations prior to and during incarceration. These data may now be considered alongside the socio-demographic and forensic characteristics. The results of the study strongly suggest that the deprivation theory, according to which incarceration acts upon the inmate's libido in the manner of a deprivation, is at least partially invalid. The data obtainable from the few scientific studies by criminological research teams as to the circumstances of incarceration, and more importantly, of victimization in German prisons, offer only sporadic information about the amount of sexual violence in the prison systems of the individual Federal states. What these studies have in common is the assumption that the daily experience of male inmates is largely determined by harassment, violence, and suffering in the context of sexual self-determination. This thesis presents data on the incidence and prevalence of non-consensual sexual relations in the Berlin-Tegel prison.