Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche und demyelinisierende Erkrankung des zentralen Nervensystems. Auch wenn die Ätiologie der MS unverstanden ist, sprechen zahlreiche Befunde dafür, dass die MS auf dem Boden einer komplexen Interaktion von genetischen und Umweltfaktoren entsteht. Als ein möglicherweise bei der MS relevanter Umweltfaktor wurde in den 1990er Jahren, ausgehend von in Zellkulturüberständen und Plasma von Patienten mit MS nachgewiesenen retroviralen RNA Sequenzen, ein MS-assoziertes Retrovirus (MSRV) beschrieben. In der Folge stellte sich heraus, dass MSRV Sequenzen eine hohe Ähnlichkeit zu einer Familie humaner endogener Retroviren (HERV), HERV-W, haben. HERVs sind Relikte von im Laufe der Evolution stattgehabten Keimbahninfektionen durch exogene Retroviren, die sich stabil in das humane Genom integriert haben. Verschiedene Arbeiten legten sowohl eine mögliche Rolle eines putativen MSRV Envelope (Env) Proteins als auch eines Volllängen HERV-W Env Proteins (Syncytin-1) bei der MS nahe. Insbesondere konnte in immunhistologischen Untersuchungen die Expression eines HERV-W Env Proteins in akuten MS-Läsionen nachgewiesen werden. Vor diesem Hintergrund wurden in der vorliegenden kumulativen Habilitationsschrift verschiedene Kernfragen zu MSRV/HERV-W und deren möglicher Bedeutung für die MS in Originalarbeiten untersucht. Zunächst wurde die Regulation der Expression von HERV-W Proteinen durch anderweitige virale Erreger am Beispiel des Herpes simplex Virus Typ 1 (HSV-1) analysiert, wobei gezeigt werden konnte, dass eine Infektion mit HSV-1 u.a. zu einer Induktion eines HERV-W Env Proteins in neuronalen und endothelialen Zellkulturen führt. Nachdem für das HERV-W Env Protein Syncytin-1 oligodendrotoxische und proinflammatorische Eigenschaften beschrieben wurden, könnte eine Heraufregulation dieses Proteins durch HSV-1, oder auch anderweitige virale Erreger, eine für die MS relevante Rolle spielen. Das genaue Verhältnis von MSRV und HERV-W sowie der Status von MSRV als retroviraler Entität waren bislang ungeklärt, insofern war ein zentrales Thema der hier dargestellten Arbeiten die Aufklärung der Identität von MSRV. Sollte es sich bei MSRV um ein infektiöses, exogenes Retrovirus handeln, wäre zu erwarten, dass sich bei infizierten Individuen eine Immunantwort gegen MSRV findet. In einer diesbezüglichen Untersuchung zeigte sich jedoch, dass weder Patienten mit MS noch Kontrollen relevante humorale oder zelluläre Immunantworten gegen MSRV/HERV-W Proteine aufweisen. In einer weiteren Arbeit wurde an Hand der humanen Keinzelltumor-Zelllinie Tera-1, welche von der HERV-K (HML2) Familie enkodierte retrovirale Partikel produziert, die Verpackung von HERV Transkripten in retrovirale Partikel studiert. Aus den Ergebnissen dieser Untersuchung konnte geschlossen werden, dass die vormalige Annahme, dass die als „MSRV“ bezeichneten RNA Sequenzen auch für „MSRV- Partikel“ kodieren, sich in dieser Form nicht aufrecht erhalten lässt. Zusätzlich wurde die zentrale Frage des Ursprungs der publizierten MSRV env Sequenzen durch eine systematische Analyse transkribierter HERV-W env loci sowie publizierter MSRV env Sequenzen bearbeitet. Ein wichtiges Ergebnis dieser Arbeit war, dass sämtliche publizierten MSRV env Sequenzen sich auf Transkripte verschiedener genomischer HERV-W loci bzw. in vitro Rekombinationen unterschiedlicher HERV-W Transkripte zurückführen lassen. Im Rahmen unserer Untersuchungen konnte ein auf Chromosom Xq22.3 gelegener transkribierter HERV-W env locus identifiziert werden, der nach einem einzigem vorzeitigem N-terminalem Stop-Codon einen langen offenen Leserahmen für ein 475 Aminosäuren langes N-terminal trunkiertes HERV-W Env Protein besitzt. In einer weiteren Arbeit konnte abschließend gezeigt werden, dass der Xq22.3 HERV-W env locus (ERVWE2) in der Lage ist, ex vivo ein N-terminal trunkiertes HERV-W Env Protein (N-Trenv) zu produzieren. Durch Reversion des vorzeitigen Stop-Kodons in Xq22.3 HERV-W env konnte zudem ein Volllängen Xq22.3 HERV-W Env Protein rekonstituiert und dessen Eigenschaften im Vergleich zu N-Trenv charakterisiert werden. Die Ergebnisse zusätzlich durchgeführter immunhistochemischer Untersuchungen sind vereinbar mit einer Expression von Xq22.3 HERV-W Env in MS-Läsionen in vivo. Zusammenfassend sprechen die hier dargestellten Befunde klar gegen die Annahme, dass es sich bei MSRV um ein infektiöses, replikationskompletentes, exogenes Retrovirus, im Sinne eines „MS-Erregers“ handelt. Auf der anderen Seite liegen jedoch Hinweise dafür vor, dass einzelne HERV-W Proteine eine pathophysiologisch relevante Rolle bei der MS spielen könnten. In diesem Zusammenhang konnte ein HERV-W env Gen (ERVWE2) charakterisiert werden, das die Fähigkeit zur Expression eines neu entdeckten HERV-W Env Proteins (N-Trenv) besitzt. Unsere Daten sind vereinbar mit der Auffassung, dass es sich bei dem in MS-Läsionen exprimiertem Protein um N-Trenv handeln könnte. Die exakte Identität des in MS-Läsionen exprimierten HERV-W Env Proteins sollte in zukünftigen Untersuchungen genauer geklärt werden um davon ausgehend die mögliche pathophysiologische Relevanz dieses Proteins bei der MS weiter untersuchen zu können.
Multiple sclerosis (MS) is a chronic inflammatory demyelinating disease of the central nervous system. Although its precise etiology is unknown, there is broad evidence that it is caused by a complex interaction of genetic and environmental factors. Based on the detection of retroviral sequences in cell culture supernatants and plasma of patients with MS, an MS-associated retrovirus (MSRV) was described as a possibly relevant environmental factor for MS in the 1990ies. Subsequently, it turned out that MSRV sequences are highly similar to a family of human endogenous retroviruses (HERV), namely HERV-W. HERV are considered remnants of ancient germ cell infections by exogenous retroviruses that took place in the evolutionary past and were stably fixed in the human genome. Previous work suggested a possible role of a putative MSRV envelope (Env) protein as well as of a full-length HERV-W Env protein (syncytin-1) in MS. In particular, immunohistological investigations demonstrated expression of a HERV-W Env protein in acute MS brain lesions. The present cumulative habilitation thesis summarizes original work that addresses a number of key questions concerning MSRV/HERV-W and its possible role in MS. First, we analysed the regulation of HERV-W proteins by others viruses using herpes simplex virus type 1 (HSV-1) as an example. We could show that infection with HSV-1 induces a HERV-W Env protein in neuronal and endothelial cells. As the HERV-W Env protein syncytin-1 has been reported to possess oligodendrotoxic and proinflammatory properties upregulation of this protein by HSV-1, or other viruses, might be relevant in MS. Because the exact relationship of MSRV and HERV-W as well as the status of MSRV as a retroviral entity were previously not well defined, a central topic of our work was the clarification of the identity of MSRV. If MSRV was an exogenous infectious retrovirus one would expect to find an immune response against MSRV in infected individuals. However, in a comprehensive study of MSRV/HERV-W-specific immune responses we were unable to demonstrate relevant humoral or cellular immune responses against MSRV/HERV-W proteins in patients with MS or controls. Next, using the human germ cell tumor line Tera-1, which produces retroviral particles encoded by the HERV-K (HML2) family, we studied the packaging of HERV transcripts in retroviral particles, as a model for the proposed packaging of MSRV transcripts in MSRV particles. Results of this investigation suggest that the former assumption that MSRV RNA sequences also code for MSRV particles cannot be sustained. We also addressed the important question of the origin of published MSRV env sequences through a systematic analysis of transcribed HERV-W env loci and previously described MSRV env sequences. One central result of this work was that all formerly published MSRV env sequences may be explained as being derived from genomic HERV-W loci or in vitro recombinations of transcripts from different HERV-W loci. During the course of our studies we identified a HERV-W env locus on chromosome Xq22.3, which is transcribed in human mononuclear blood cells, and, following a single premature N-terminal stop codon, harbours a long open reading frame for a 475 amino acid N-terminally truncated HERV-W Env protein. We could show that the Xq22.3 HERV-W env locus has the capacity to produce an N-terminally truncated HERV-W Env protein (named N-Trenv) ex vivo. Furthermore, by reversing the premature stop codon in Xq22.3 HERV-W env we could reconstitute a full-length Xq22.3 HERV-W Env protein, whose properties were characterized in comparison to N-Trenv. Results of additional immunohistological investigations are compatible with the expression of Xq22.3 HERV-W Env in MS brain lesion in vivo. In summary, our results argue against the idea that MSRV is an exogenous, replication-competent, and infectious retrovirus. MSRV is therefore very unlikely to be a “MS-causing agent”. Nevertheless, there is some evidence that particular HERV-W proteins could play a pathophysiologically relevant role in MS. In this context, a HERV-W env gene located on chromosome Xq22.3 (named ERVWE2) was shown to have the capacity to produce a newly discovered N-terminally truncated HERV-W Env protein (N-Trenv). Our findings are compatible with the concept that N-Trenv might be expressed in MS brain lesions. Future studies should clarify the exact identity of the HERV-W Env protein expressed in MS brain lesion in order to further clarify the possible pathophysiological relevance of this protein in MS.