Einleitung: Eine bipolare Störung wird oft erst spät erkannt. Früherkennung und Frühintervention sind anzustreben, um Betroffene gezielt frühzeitig zu unterstützen und damit bessere Krankheitsverläufe zu erzielen. Hierfür sind spezifische Früherkennungsinstrumente entwickelt worden, die das individuelle Risiko, eine bipolare Störung zu entwickeln, erfassen. Diese Instrumente berücksichtigen bislang nicht den Aspekt der Religiosität, obwohl es Hinweise gibt, dass Religiosität, und speziell die „extrinsische Religiosität“, als eine Form instrumenteller (zweckorientierter), Gläubigkeit (Zwingmann, Hellmeister, & Ochsmann, 1994) dazu beitragen könnte, das Risiko für eine bipolare Störung genauer einzuschätzen. In der vorliegenden Arbeit wurde untersucht, ob in einer Risikopopulation der Grad der Religiosität (Hypothese 1), und insbesondere die Ausprägung der extrinsischen Religiosität (Hypothese 2) mit dem Risiko einer bipolaren Störung zusammenhängt.
Methodik: Die Daten stammen aus der Berliner Kohorte der multizentrischen BipoLife- Studie. Es handelte sich ausschließlich um Proband*innen, die auf Basis der „Bipolar Prodrom Symptom Skala“ (BPSS) ein Risiko für die Entwicklung einer bipolaren Störung aufwiesen und mittels des „Early Phase Inventory for bipolar disorders“ (EPIbipolar) in vier Risikogruppen eingeteilt werden konnten. 65 Studienteilnehmende (36 Frauen und 29 Männer, Durchschnittsalter: 25,4 Jahre) füllten den „Fragebogen zu Religiosität und Lebensbewältigung“ aus. Anhand dessen konnte für fünf Aspekte der Religiosität (religiöse Orientierung, religiöse Erfahrung, religiöses Engagement, sowie die intrinsische und extrinsische Religiosität) die religiöse Ausprägung erfasst werden.
Ergebnisse: Mittels einer multiplen linearen Regressionsanalyse konnte gezeigt werden, dass der Einbezug aller Aspekte der Religiosität nicht zu einer bedeutsamen Verbesserung der Risikoeinschätzung der bipolaren Störung (gemessen mit BPSS) führte (p=0,59). Eine lineare Diskriminanzanalyse ermöglichte keine signifikant genauere Zuordnung in die Risikogruppen (gemäß EPIbipolar) im Vergleich zu einer rein zufälligen Gruppenzuordnung (p=0,20). Jedoch konnte in einer weiteren linearen Regression gezeigt werden, dass ein spezifischer Aspekt der Religiosität, die „extrinsische Religiosität“, als singulärer Prädiktor das Manie-Risiko (p=0,07) und Nebensymptome der Manie (p=0,06) (erfasst durch die BPSS), auf Trendniveau vorhersagen konnte. Anhand des Messinstrumentes EPIbipolar konnte bezüglich der extrinsischen Religiosität mittels einer univariaten Varianzanalyse kein signifikanter Unterschied der Mittelwerte in den unterschiedlichen Risikogruppen gezeigt werden.
Schlussfolgerung: Auf Basis der vorliegenden Befunde muss geschlussfolgert werden, dass Religiosität als Gesamtkonstrukt keinen signifikanten Beitrag zur Einschätzung des Risikos für die Entwicklung einer bipolaren Störung leisten kann. Jedoch deuten die Ergebnisse darauf hin, dass ein spezifischer Aspekt, die extrinsische Religiosität, zu einer verbesserten Einschätzung des Manie-Risikos beitragen könnte. Sollte sich dieser Befund in weiteren Untersuchungen bestätigen, könnte die Erfassung extrinsischer Religiosität zusätzlich zu den herkömmlichen Früherkennungsinstrumenten einen bedeutsamen Mehrwert zur effektiven Frühprävention darstellen.
Introduction: Bipolar disorder is often diagnosed late. Early recognition and intervention are desirable to mitigate the course of the disease. Therefore, specific early recognition tools have been created which measure the individual risk of developing bipolar disorder. These do not take the aspect of religiosity into account, although there are indications that this aspect, especially the “extrinsic religiosity”, an instrumental (purpose-oriented), superficial belief (1), may contribute to an improved assessment of the risk. This paper has examined whether the degree of religiosity (hypothesis 1) and particularly of extrinsic religiosity (hypothesis 2) had an influence on the risk of developing a bipolar disorder in a risk population.
Methods: The data used comes from the Berlin cohort of the multicenter BipoLife study. Each participant had a risk of developing bipolar disorder based on the Bipolar Prodrom Symptom Scale (BPSS) and had been assigned to one of the four EPIbipolar (Early Phase Inventory for bipolar disorders) risk groups. 65 participants (36 female and 29 male participants, mean age: 25,4 years) filled out the “Questionnaire on Religious Orientation and General Coping”. On this basis, the degree of religiosity was quantified via five dimensions of religiousness (religious orientation, religious experience, religious commitment, intrinsic and extrinsic religiosity).
Results: A multiple linear regression analysis revealed that all aspects of religiosity considered together did not contribute significantly (p=0,59) to an improved risk assessment for bipolar disorder (measured by BPSS). A linear discriminant analysis did not result in a significantly more accurate assignment in the EPIbipolar risk groups compared to a random group assignment (p=0,20). However, a separate linear regression analysis showed that one specific aspect of religiosity, namely “extrinsic religiosity”, as a singular predictor, was able to predict the risk of developing mania (p=0,07) and the risk of developing accompanying symptoms of bipolar disorder (p=0,06) at trend level (measured by BPSS). Using the EPIbipolar for a univariate analysis of variance across different risk groups has not revealed any significant difference between the mean values in relation to extrinsic religiosity.
Conclusion: In this study, no significant predictive value of religiosity on the risk of developing mania was found. People with a pronounced extrinsic religiosity, however, showed a tendency towards a higher risk of developing bipolar disorder. If this finding will be confirmed in further studies, an added value could be achieved if the detection of extrinsic religiosity would be used in addition to conventional early detection tools.