Francisella tularensis (Ft) ist ein gramnegatives, fakultativ-intrazelluläres Pathogen, welches die Tularämie beim Menschen und bei einer großen Anzahl von Tieren auslösen kann. In Deutschland ist ausschließlich die Ft Subspezies holarctica (Fth) für Infektionen im Menschen verantwortlich. Der Hauptvirulenzfaktor, die Francisella Pathogenitätsinsel (FPI), kodiert für ein Typ-VI-Sekretionssystem (T6SS) und ist für das Verlassen des Phagosoms und somit für die intrazelluläre Replikation verantwortlich. IglC und VgrG sind wichtige strukturelle Komponenten des T6SS, werden aber auch in Kulturüberständen nachgewiesen. VgrG scheint zudem auch eine Effektorfunktion wahrzunehmen. Deletionen von iglC und vgrG führen zur eingeschränkten T6SS-Funktionalität und damit zum intrazellulären Replikationsdefekt sowie zur Avirulenz der Deletionsmutanten. Kürzlich wurde ein aquatisches Francisella Umweltisolat in Deutschland gefunden, welches nicht zu Ft gehört. Das Francisella W12-1067 Isolat (F-W12) ist mit aquatischen Allofrancisella Stämmen aus China nah verwandt. F-W12 verfügt nicht über die FPI, dennoch konnten in silico putative Francisella Virulenzfaktoren und FPI-ähnliche Genominseln identifiziert werden, die für ein alternatives T6SS kodieren könnten. Im Rahmen dieser Arbeit wurde versucht das von F-W12 ausgehende Pathogenitätsrisiko besser zu verstehen. Trotz fehlender intrazellulärer Replikation war der F-W12 Stamm in der Lage in Makrophagen, Alveolarepithelzellen, Acanthamoeba lenticulata und im humanen Lungengewebe zu persistieren. Während der intrazellulären Persistenz-Phase scheint F-W12 das Phagosom in den Makrophagen nicht zu verlassen und verhält sich damit wie eine natürliche Francisella T6SS-Deletionsmutante. Die Untersuchungen zu den FPI-ähnlichen Genominseln in F-W12 zeigten, dass hier Genprodukte mit Homologien zu Proteinen einer anderen FPI-ähnlichen, aber noch wenig verstandenen Genominsel von Francisella novicida kodieren. In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass die F-W12 Homologen von Francisella IglC und VgrG exprimiert und sekretiert werden. Darüber hinaus konnte, wie bereits für VgrG von Francisella bekannt, die Bildung von VgrGW12-Multimeren nachgewiesen werden. Zur weiteren Risikoabschätzung des F-W12 Stammes wurden mithilfe des „Scatterscreens“ experimentell Faktoren bestimmt, die in der F-W12-Amöben-Interaktion involviert sind. Der Scatterscreen wurde ursprünglich für die Identifikation von Virulenzgenen in einer Legionella Transposon-Mutantenbank mithilfe von Amöben entwickelt. In dieser Arbeit wurden unter der Verwendung von A. lenticulata 29 putative Gene für die Francisella-Amöben-Interaktion identifiziert. Dabei konnten bereits für Francisella beschriebene Virulenzfaktoren (relA, galU, glpD), Virulenzgene anderer Bakterien (ftsH, mlaA, mlaD) sowie F-W12-spezifische Faktoren gefunden werden. Demzufolge verdeutlichen die Ergebnisse dieser Arbeit, dass eine Pathogenität des F-W12 Stammes nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden kann. Durch die Transposon-Insertion wurde beim Scatterklon #50 die Glucokinase (glk) inaktiviert. Mithilfe von [U-13C6]-Markierungsversuchen konnte gezeigt werden, dass glk für die Verwertung von Glucose in F-W12 essentiell ist. Eine glk-Inaktivierung führte zum reduzierten in vitro Wachstum, welches durch die trans Komplementation mit glk wieder aufgehoben werden konnte. Des Weiteren wurde in silico ein putatives Gencluster des Myo-Inositol-Stoffwechsels im F-W12 Stamm gefunden. Es konnte experimentell gezeigt werden, dass Myo-Inositol als Energie- und Kohlenstoffquelle zum Wachstum im Wildtyp F-W12 verwendet wird. Im Gegensatz dazu konnte eine Deletionsmutante des Genclusters das Myo-Inositol nicht nutzen. Dieser Effekt war mithilfe der trans Komplementation des Gencluster komplementierbar. Zusätzlich konnte der Umsatz von 2H6-Myo-Inositol durch Markierungsversuche bestätigt werden. Als weiterführende Analyse der Francisella Virulenz wurde im Rahmen dieser Arbeit ein ex vivo Lungeninfektionsmodell etabliert, welches es ermöglicht in einem komplexen 3D-System, die Replikation von verschiedenen Francisella Isolaten zu untersuchen. Dabei wurde der attenuierte Phänotyp des Fth Impfstammes gegenüber einem Fth Wildtypisolat erkennbar. Somit bot das ex vivo Lungeninfektionsmodell einen Vorteil gegenüber in vitro Infektionsmodellen, da in vitro der attenuierte Phänotyp generell nicht sichtbar wird. Die molekularepidemiologischen Untersuchungen der Genome von 23 Fth Isolate aus den Jahren 2016 - 2019 offenbarten eine relativ große Fth Stammvielfalt innerhalb Deutschlands. Es wurden Vertreter beider in Europa verbreiteter phylogenetischer Kladen gefunden (B.6 und B.12). Des Weiteren war es möglich in Rahmen dieser Arbeit einen ungewöhnlichen Tularämie-Ausbruch bei einer Weintraubenlese in Deutschland zu untersuchen. Hierbei konnte die DNA des Fth-Ausbruchsstamms klassifiziert und die potentielle Kontaminationsquelle (Waldmaus) identifiziert werden.