Diese Dissertation untersucht die aktuellen medialen Entwicklungen in Russland nach der politischen Mobilisierung durch das Internet 2011—2013 und gleichzeitigen Verschärfung seiner gesetzlichen Regulierung 2012—2016. Mit der aktiven Verbreitung von Informationen über Wahlfälschungen 2011—2012 gewann das Internet als Informationsquelle sprunghaft an Bedeutung, was nicht nur von Nutzer_innen, sondern auch vom Gesetzgeber schnell erkannt wurde. Seit 2012 wurden in Russland Dutzende neue Gesetze verabschiedet, die die Arbeit der Onlinejournalist_innen und Blogger_innen wesentlich beeinflussten und zur Entstehung von neuen Einschränkungsmechanismen im russischen Internet führten. Am 1. November 2012 trat die so genannte „Schwarze Liste von Internetseiten“ in Kraft, wodurch in der Geschichte des russischen Internets zum ersten Mal direkte Sperrungen von Webseiten ermöglicht wurden. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird die Rolle dieser neuen medialen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Realisierung der Internetfreiheit in Russland aus der Sicht von Medienexpert_innen und Journalist_innen analysiert. Zum einen werden in der Dissertation auf Basis von Dokumenten- und Literaturanalyse die wichtigsten Transformationen im russischen Mediensystem mit der landesweiten Verbreitung des Internets sowie die neuen gesetzlichen Änderungen seit 2012 aufgeführt. Dazu werden unterschiedliche öffentlich zugängliche Quellen wie Berichte von internationalen Organisationen, Medienverbänden, Stiftungen und NGOs sowie aktuelle Medienmeldungen verwendet, darunter auch Quellen in russischer Sprache. Nach einer ausführlichen Darstellung der neuen gesetzlichen Normen in Bezug auf die Internetregulierung 2012-2016 werden auch ihre Auswirkungen nach Einschätzung von Medienexpert_innen präsentiert und mit Fallbeispielen wie Sperrungen im Internet oder Verfolgungen von einzelnen Journalist_innen illustriert. Zum anderen werden qualitative Interviews mit Onlinejournalist_innen und Blogger_innen aus Russland durchgeführt, die über allgemeine gesellschaftspolitische Themen inklusive netzpolitische Entwicklungen berichten und gleichzeitig selbst unter dem Druck der neuen gesetzlichen Änderungen stehen. Dazu werden in die Untersuchung Onlinejournalist_innen aus nicht-staatlichen liberal-orientierten und oppositionellen Medien einbezogen, deren Rolle im russischen Mediensystem in anderen wissenschaftlichen Studien noch wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Es wurden die wichtigsten Änderungen und Anpassungsstrategien in der Arbeit von Onlinejournalist_innen und Blogger_innen wie z.B. inhaltliche oder sprachliche Anpassungen aufgegriffen, die seit 2012 entstanden und als direkte Folgen der neuen gesetzlichen Regulierung zu verstehen sind. Am Ende der Arbeit werden die Einschätzungen der Medienorganisationen mit den Ergebnissen der Interviews verglichen. Somit wird in der Arbeit aufgezeigt, welche Methoden der Internetkontrolle in Russland seit 2012 verwendet werden und dass ihre Realisierung jedoch sehr stark von solchen Rahmenbedingungen wie z.B. technischen Möglichkeiten oder wirtschaftlichen Entwicklungen abhängig ist. Da die Forschungsfrage sich auf die jüngsten Entwicklungen 2012—2016 bezieht, leistet das Dissertationsprojekt einen Beitrag zum Verständnis der gegenwärtigen medialen Änderungen in Russland und legt gleichzeitig bei ihrer Untersuchung einen starken Fokus auf den historisch-kulturellen Kontext.
This dissertation examines the current media developments in Russia after the political mobilization through the Internet 2011—2013 and the simultaneous increase of its legal regulations 2012—2016. Following the active spread of information about election fraud in 2011—2012, the growing importance of the Internet as a source of information has been realized not only by users but also by legislators. Since 2012, dozens of new laws have been passed in Russia, which significantly influenced the work of online journalists and bloggers and led to the emergence of new restriction mechanisms on the Russian Internet. On November 1, 2012, the so-called "black list of websites" became effective, which enabled direct blocking of websites in Russia for the first time in the history of the Russian Internet. This study analyses the role of the new media and legal frameworks for the realization of Internet freedom in Russia from the perspective of media experts and online journalists. On one hand, this dissertation shows the most important transformations in the Russian media system after a rapid rise of the Internet penetration, as well as the legal changes since 2012, based on the document and literature analysis. Various publicly available sources are used, such as reports from international organizations, media associations, foundations and NGOs, as well as current media reports, including sources in Russian. After a detailed description of the new legal norms regarding the Internet regulation 2012—2016, their effects are also presented according to the evaluation by media experts and illustrated with case studies such as online blockages or persecution of individual journalists. On the other hand, qualitative interviews are conducted with online journalists and bloggers from Russia who report on general socio-political topics, including Internet regulation, and who are under pressure since the new legal changes themselves. For this purpose, the study includes online journalists from nongovernmental liberal-oriented and oppositional media, whose role in the Russian media system has received little attention in academic studies. The most important changes and adaptation strategies in the work of online journalists and bloggers are addressed, such as content or language adjustments, which have been used since 2012 and can be understood as direct consequences of the new legal regulation. At the end of this research, the media organizations’ assessments are compared with the results of the interviews. Thus, this dissertation shows which methods of Internet control have been used in Russia since 2012 and that their realization, however, depends on general conditions such as technical possibilities or economic development. Since the research question refers to the latest developments 2012-2016, this dissertation contributes to the understanding of the current media changes in Russia and at the same time puts a strong focus on social-cultural context in its exploration.