In dem Beitrag diskutieren wir die Ergebnisse einer explorativen PhotoVoice-Studie zum emotionalen Erleben von Heranwachsenden. Mit der Aufforderung „Mache Fotos von Menschen, Orten oder Dingen, die eine wichtige Rolle in Deinem Leben spielen und die in Dir negative, positive oder auch gemischte Gefühle hervorrufen,“ wandten wir uns an die Schüler*innen eines Berliner Gymnasiums aller Jahrgangsstufen mit dem Ziel Einblick in ihr alltägliches Gefühlsleben zu erhalten. Ein zentrales und überraschendes Ergebnis dieser PhotoVoice-Studie bildet die große Bedeutung, die affektiven Erinnerungspraktiken im Leben der Schüler*innen zukommt: Mädchen und Jungen aller Klassenstufen nahmen mit den von ihnen angefertigten Fotografien vielfach Bezug auf Objekte, die mit der Erinnerung emotional bedeutsamer Ereignisse, Beziehungen oder Lebensabschnitte in Zusammenhang standen. Diese häufige Bezugnahme auf unterschiedliche Erinnerungsobjekte deutet an, dass zurückliegende Erfahrungen eine zentrale Rolle im Selbstverständnis und emotionalen Erleben der Schüler*innen spielen. Bedeutsam ist, dass den Objekten bewusst ein Symbolgehalt zugesprochen wurde. Sie sollten die Erinnerung an einen Moment oder eine Beziehung und die damit einhergehenden Gefühle speichern. Einleitend werden wir zunächst Fragestellung, Zielsetzung, Sample sowie das methodische Vorgehen der empirischen Studie beschreiben, um uns dann genauer mit den methodologischen Besonderheiten des angewandten PhotoVoice-Verfahrens auseinanderzusetzen. Anschließend diskutieren wir die Ergebnisse der Studie im Rahmen ausgewählter kultur- und sozialwissenschaftlicher sowie (entwicklungs-)psychologischer Theorieansätze und argumentieren, dass der affektive Umgang mit Zeit, Vergangenheit und Vergänglichkeit eine wichtige Dimension der Gefühlsbildung und Emotionsentwicklung darstellt, der entscheidend durch soziale und kulturelle Prozesse moduliert wird und Rückschlüsse über gesellschaftlich geteilte Normen, Werte und Konzeptionen von Zeit, Selbst, Lebenslauf und die Bedeutung sowie Darstellung von Erinnerung zulässt. Wir möchten mit dem Beitrag die Aufmerksamkeit auf die Ontogenese des autobiographischen Gedächtnis und dessen sozio-kulturelle Grundlagen lenken, das innerhalb der sozial- und kulturanthropologischen Forschung zu Erinnerung und Gedächtnis bisher vergleichsweise wenig Beachtung erfährt.