Die konfrontativen politischen Auseinandersetzungen im tunesischen Umbruchprozess nach dem Sturz Bin ʿAlis wurden häufig als Manifestationen einer umfassenden Polarisierung zwischen »Islamismus« und »Säkularismus« verstanden. Am Beispiel der tunesischen Gewerkschaftsorganisation UGTT – Friedensnobelpreisträgerin von 2015 – und ihrer öffentlichen Stellungnahmen während der tunesischen Umbruchsituation zwischen 2011 und 2014 untersucht diese Arbeit, wie Diskurse in Polarisierungsprozesse eingebunden sind und warum sie sich auf ihre besondere Art und Weise gestalten. Zur Beantwortung dieser Fragestellung wird im Anschluss an Begriffe Pierre Bourdieus eine Forschungsperspektive entwickelt, die zwar Diskurse in den Mittelpunkt der Analyse stellt, dabei aber weiterhin die objektiven, strukturellen sozialen Verhältnisse und die Interaktionen im politischen Kontext berücksichtigt. Die Arbeit zeigt auf, dass AkteurInnen von den Spezifika ihrer sozialen Position bestimmte Interpretationsrepertoires nahegelegt werden, innerhalb derer sie sich, mitunter polarisierend, auf ihre politischen KontrahentInnen beziehen. Polarisierte Umbruchsituationen sind dementsprechend selten eindeutig binär strukturiert – für den Fall der UGTT stellt sich z.B. heraus, dass sie in ihrem Diskurs vielmehr auf organisationstypische Charakteristika rekurriert als auf einen »Säkularismus« per se, und so eher eine positionsspezifische Form eines anti-»islamistischen« Diskurses vertritt.