Mädchenarbeit, die einen emanzipatorischen parteilichen Beitrag zur Veränderung struktureller gesellschaftlicher Handlungsbeschränkungen leisten will, muss die Bedingungen reflektieren, die für ihr Klientel, wie auch für die Praktikerinnen als Handlungsprämissen wirksam werden. Geschieht diese Reflexion nicht, besteht die Gefahr, geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen in Konzeption und Regelwerk zu reproduzieren. Neben gegenwärtigen Rollenzuweisungen an Mädchen bzw. Frauen und die damit im Zusammenhang stehenden gesellschaftlichen Erwartungen an Mädchenarbeit können hier auch die biographischen Erfahrungshorizonte der Praktikerinnen wesentlichen Einfluss auf die Praxis haben. Dies ist bislang nicht systematisch reflektiert worden. Die vorliegende Untersuchung zur Praxis der Mädchenarbeit verbindet Ergebnisse aus subjektwissenschaftlicher Praxisforschung in aktuellen mädchenspezifischen Jugendhilfeeinrichtungen mit einer historisch-vergleichenden Analyse der geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen und des Selbstverständnisses von Mädchenarbeit in der BRD und der DDR. Die historisch vergleichende Analyse der strukturellen Bedingungen in der DDR und der BRD vor und nach 1990 ergibt, dass in beiden Gesellschaften eine weibliche Zuständigkeit für Reproduktionstätigkeiten den Zugang zur Erwerbstätigkeit brüchig machte und damit die gesellschaftliche Teilhabe einschränkte. Die Analyse der institutionellen Heimerziehung in der BRD und DDR zeigt Gemeinsamkeiten in der Orientierung an einer [auch gewalttätigen] Disziplinierung von Jugendlichen und Unterschiede hinsichtlich Struktur, Menschenbild und Normierungszielen. Obwohl in beiden Staaten vor dem Kinder- und Jugendhilfegesetz von 1991 Mädchen nicht als eigene Gruppe in der Jugendhilfe benannt wurden, schlugen sich die geschlechtsspezifischen Erziehungsvorstellungen in den Heimkonzeptionen nieder. Im empirischen Teil der Untersuchung werden mit der Methode der teilnehmenden Beobachtung in mädchenspezifischen Kriseneinrichtungen in Berlin erfasste Praxisprobleme auf der Grundlage von Kritischer Psychologie und feministischer Wissenschaftstheorie expliziert. Die Beobachtungen werden durch Ergebnisse aus Interviews mit sieben Praktikerinnen der Mädchenkrisenarbeit ergänzt, in denen die Sichtweisen der Pädagoginnen auf mädchenspezifische Problemlagen und ausgewählte Praxisprobleme vor dem Hintergrund ihrer je spezifischen Vergesellschaftungserfahrungen erörtert werden. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei der Umgang der Einrichtungen mit finanziellen Kürzungen ein. Für die Untersuchung des emanzipatorischen Potentials von Mädchenarbeit expliziert die Analyse mädchenspezifischer Sozialisationsmomente und jugendhilfepolitischer Interventionen immanent normierende Geschlechterbilder und damit eine besondere Verantwortung von Jugendhilfe als potentiell restriktive Kontrollinstanz, die sich geschlechtsspezifisch auswirkt. Die Differenzierung der Mädchenangebote und der Auswirkungen von Gender Mainstreaming-Konzepten sowie die kritische Reflexion von geschlechtsspezifischen Normierungstendenzen in den verwendeten pädagogischen Termini erlauben eine allgemeine Verortung von Mädchenarbeit im 21. Jahrhundert.
Girls’ work that wants to contribute to changing the structural societal constraints in an emancipatory partisan way must reflect the social structures that work as action premises for their clientele and the practitioners. Without this reflection, gender-specific role assignments in conception and policy will be reproduced. In addition to the existent role assignments to girls and women and the associated societal expectations towards girls’ work, the biographical experiences of the practitioners can be of significant influence for the practice. So far, this has not been systematically reflected. The present study of the practice of girls’ work combines the results of subject-scientific practice research in current girl-specific youth welfare institutions with a historical-comparative analysis of gender-specific role assignments and the self-conception of girls’ work in East and West Germany. The historical-comparative analysis of the societal structures in East and West Germany before and after 1990 shows that in both societies the female responsibility for reproductive work impeded the access to employment, thus restricting social participation. The analysis of institutional residential care in East and West Germany reveals similarities in their orientation towards a (violent) disciplining of adolescents, but differences regarding structure, image of humanity and gender-specific norms in education. Although both states did not view girls as an individual category within youth welfare before the Child and Youth Services Act (Kinder- und Jugendhilfegesetz) came into effect in 1991, a gender-specific understanding of education influenced the respective conceptions of youth institutions. The empirical part of the study – based on the conjunction of critical psychology with feminist philosophy of science – depicts actual practical problems gathered by participant observation in three of the four girl-specific crisis centers in Berlin. These findings are complemented by conclusions of interviews with seven practitioners of girl-specific crisis work, in which the views of the pedagogues on girl-specific problems and select practical problems against the background of their respective socialization experiences are discussed, a central point being the conceptions of the youth institutions in handling financial cutbacks. Regarding the assessment of the emancipatory potential of girls’ work, the analysis of girl-specific socialization factors and interventions based on youth welfare policies identifies immanent normative gender perceptions, meaning that youth welfare, as potentially restrictive control mechanism with gender-specific impact, bears special responsibility. The differentiation of girl-specific offers and gender mainstreaming concepts, as well as the critical reflection of gender-specific normative tendencies in pedagogical terminology, allows for a general positioning of girls’ work in the 21st Century.