Wie stehen die Dichter und Denker zum Raum? Für die Philosophen ist der Raum die Hülle, die - wie die Zeit - „nicht weggedacht werden kann“ (Immanuel Kant). In der Antike waren das Wo, das Wann und das Warum die ersten Fragen! Der Erste, der eine umfassende Geographie auf einen Schild schmieden konnte, war der hinkende Gott Hephaistos (18. Gesang der „Ilias“ Homers). In der Bibel wird im 1. Buch Moses die Erschaffung der Welt als Werk Gottes dargestellt. Einschließlich des Paradieses, das der Mensch - nachdem er gesündigt hatte - verlassen musste. Wie haben nun die Dichter den Raum ausgefüllt? Sie haben ihn erlebt und - mit der Gabe des gesteigerten Wahrnehmungsvermögens - beschrieben. So Goethe in der „Italienischen Reise“. Oder sie haben ihn erdacht als Boden, auf dem die Schicksale ihrer Helden und Heldinnen ihren Ausgangspunkt nehmen und dort ablaufen. So in den Novellen von Annette von Droste-Hülshoff oder Georg Büchner („Die Judenbuche“ und „Lenz“). Oder die Räume werden erträumt. So in der Verkündung vom „oberen Jerusalem“ des Johannes oder in Robert Musils 10. Raum in „Der Mann ohne Eigenschaften“. Er lässt es aber offen, wie dieser ausgestattet ist. William Shakespeare lässt in der „Der Sturm“ den Menschenfreund Gonzalo sagen: „In meinem Reich wird Kriegsgerät nicht geduldet“! Der König von Neapel antwortet darauf: „Du schwatzest Unsinn“. In Alexis Kivis „Die sieben Brüder“ wird in der „Einöde“ Finnlands ein „Woanders“ gesucht, wo man neu anfangen kann. Für Virginia Woolfs „Orlando“ ist der Raum eine Folge von Seins-Momenten. Für Theodor Fontane ist Swinemünde viel aufregender als Neuruppin („Meine Kinderjahre“). Iwan Turgenjews Held setzt in der Novelle „Asja“ über den Rhein. Für Eduard Mörike ist der Raum der Ort der Erinnerung („Besuch in Urach“). Über die Jahrzehnte hinweg habe ich Stellen in der klassischen Literatur gefunden, die in dieser Schrift zusammengestellt sind. In ihnen wird das Räumliche in immer neuen Färbungen dargestellt. Es ist so eine kleine Anthologie - mit verbindenden Nach- und Mitgedanken versehen - entstanden.