Einleitung: Durch medizintechnische, soziale sowie ökonomische Fortschritte stieg weltweit die Anzahl von älteren Menschen in der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich an. Aufgrund einer höheren Sensibilisierung der Gesellschaft für Gewalterfahrungen Älterer rückte dieses Thema stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Gerade hinsichtlich tödlicher Gewalt existieren jedoch bisher nur recht wenige Studien – in Deutschland fünf Arbeiten hinsichtlich der Städte Bonn, Hannover, Aachen, Hamburg und Essen, im Ausland vier Vergleichsstudien. Methodik: Es wurden retrospektiv 23.414 Obduktionsprotokolle im Hinblick auf Tötungsdelikte an über 60-Jährigen im Jahreszeitraum von 2000 bis 2010 des Instituts für Rechtsmedizin der Charité, der Freien Universität und der Humboldt Universität Berlin untersucht. Ausschlusskriterien waren stark fäulnisveränderte Leichen, unklare Todesfälle, Serientötungen, Tod durch unterlassene Hilfeleistung, ärztliche und pflegerische Kunstfehler, Euthanasie sowie versuchte Tötungsdelikte. Datenlage und Ergebnisse: Es fanden sich 93 Tötungsdelikte an älteren Menschen über 60 Jahren bei gesamt 480 Tötungsverbrechen an allen Altersklassen zwischen 2000 und 2010. Somit war der Anteil der über 60-Jährigen mit 19,4 % recht niedrig, er lag sogar unter dem Wohnbevölkerungsanteil dieser Altersklasse in Berlin (24,1 %). Die Staatsanwaltschaft ermöglichte Akteneinsicht in 73,1 % der Fälle (68 Akten), 55 Täter waren zum Zeitpunkt der Aktenauswertung bekannt. Auch wenn sich Unterschiede hinsichtlich der Altersgruppen und der Tötungsarten der Opfer ergeben hatten, fand sich ein fast identisches Viktimisierungsrisiko für Männer und Frauen ab 60 Jahren. Opfer und Täter der vorliegenden Studie können in spezielle Profilgruppen eingeteilt werden: Einerseits in die Gruppe der altersunabhängigen Tötungen aufgrund von Streitigkeiten meist unter alkoholischer Beeinflussung oder aufgrund von Erkrankungen des Täters, die zu einem Großteil dem psychiatrischen Formenkreis angehören. Zum anderen finden sich die altersabhängigen Tötungen, laut Schäfer (1989) auch „Gerontozide“ genannt: Raubüberfälle an älteren Frauen und Tötung mit dem Ziel der Erlösung von körperlichem Leiden der Opfer. In letzterem Falle begingen die meist ebenso über 60-jährigen Täter zu einem hohen Anteil Suizid nach dem Homizid. Schlussfolgerungen: Im Alter ist die Viktimisierungsgefahr eigentlich kleiner, da sich ältere Menschen weniger im öffentlichen Raum aufhalten. Es zeigt sich aber eine Verlegung der Gewalt in den privaten Raum, der der Öffentlichkeit nur schwer zugänglich ist. Dem könnte mit folgenden Lösungsansätzen begegnet werden: eine gestärkte Arzt-Patientenbeziehung mit Einbeziehung des sozialen Umfelds des Patienten, Behandlung von Depressionen und anderen psychiatrischen Erkrankungen, Schulungen des medizinischen Personals hinsichtlich physischer und psychischer Missbrauchssymptome Älterer, zugängliche Hilfsangebote für Betroffene, ausführlichere Leichenschauen sowie eine weitere Sensibilisierung der Öffentlichkeit zum Thema Gewalt an Älteren.
Introduction: Medical and socioeconomic improvements have led during recent decades to a steady increase of elderly people in the world. Due to increased public sensitivity to the issue, violence against eldely people is nowadays more considered by society. There is still a lack of detailed information concerning deadly aggression – there are five German studies from Bonn, Hannover, Aachen, Hamburg and Essen and four studies from abroad compared in this study. Methods: In a retrospective study we examined 23.414 autopsy files of sexagenarians or older between 2000 and 2010 at the Charité Berlin (plus Humboldt and Free University before the association to Charité Berlin). We excluded cases with strong putridity, ambiguous deaths, serial killings, non- assistance of persons in danger, medical malpractice, euthanasia and attempted homicides. Data research and results: During this period a total of 93 homicides against people over 60 occurred in comparison with 480 fatal attacks against all age classes. This percentage (19,4 %) is even lower than that of the resident population of elderly people in Berlin (24,1 %). The department of public prosecution allowed access to 68 records (73,1 %). 55 perpetrators were known at the point of investigation. Even if there were differences in age classes and methods of killing for men and women, the victims of both genders over 60 had almost the same risk of being killed. The present study allows a classification of victims and perpetrators in special profile groups: on the one hand there are killings irrespective of the victims age due to disputes mostly under the influence of alcohol or due to the perpetrators having an (psychiatric) illness. On the other hand there are killings dependent on the victim`s age (“gerontocides”): armed robbery of old women and killings by close partners aimed at ending an insufferable disease. Many of these offenders were aged over 60 as well and committed suicide. Conclusions: The danger of victimization of elderly people is smaller because they act less in the public. But there is a considerable shift of violence in domestic areas. To prevent homicides the following points are important: a strong relationship between physician, patient and their social surroundings, the treatment of psychiatric illness, more detailed instruction of medical personal on the physical and mental symptoms of elderly abuse, good access to support services for those affected, detailed autopsies and a stronger sensibilization of the public violence against elderly people.