Die amyotrophe Lateralsklerose (ALS) ist eine Motoneuronerkrankung (MND), die durch eine fortschreitende neurodegenerative Erkrankung motorischer Neurone (MN) im Gehirn und Rückenmark gekennzeichnet ist. Aufgrund des selektiven Untergangs der Motoneurone wird die ALS als eine Modellerkrankung der Neurodegeneration wahrgenommen. In den international standardisierten Diagnosekriterien der ALS ist der Palmomentalreflex (PMR) ein Kriterium für eine Schädigung der Pyramidenbahn. In der bisherigen Literatur finden sich jedoch keine systematischen Untersuchungen des PMR bei MND oder ALS. Vor diesem Hintergrund soll die vorliegende Arbeit klären, wie häufig der PMR bei MND ist, ob es Unterschiede zwischen den Unterformen der MND hinsichtlich der Häufigkeit des PMR gibt und ob es innerhalb der ALS eine Gruppe mit einer differenten Merkmalsausprägung gibt. METHODE: Untersucht wurden insgesamt 294 Patienten hinsichtlich des PMR. Das MND-Patientenkollektiv wurde nach Patienten mit ALS (n=251) sowie Patienten mit SSP (n=4) und SMA (n=9) unterschieden. Weiterhin wurde eine neurologische Kontrollgruppe ohne MND untersucht (n=30). Die ALS-Patienten wurden wiederum in vier Untergruppen eingeteilt. Gruppierungsmerkmal war hierbei die topische Zuordnung des Krankheitsbeginns. Die Untergruppen wurden gebildet aus: Gruppe 1: Typische ALS mit Zeichen des 1. und 2. MN (n=160), Gruppe 2: Variante der ALS Zeichen des 2. MN (n=27), Gruppe 3: Bulbäre Variante der ALS mit 1. und 2. MN (n=54), Gruppe 4: Bulbäre Variante der ALS mit 1. und 2. MN ohne Extremitätenparesen (n=8). ERGEBNISSE: Ein positiver PMR war bei 61% der untersuchten MND Patienten nachweisbar. In der ALS Gruppe fand sich ein positiver PMR bei 61% der Patienten. In der Subgruppenanalyse der ALS fand sich in Gruppe 1 bei 66% der Patienten eine positiven PMR, in Gruppe 2 bei 4% der Patienten, in Gruppe 3 bei 83% der Patienten und in Gruppe 4 bei 25% der Patienten. In der Subanalyse der Subgruppen nach Körperregionen und Beteiligung des 1. und 2. MN zeigte sich, dass bei Vorliegen von Zeichen des 1. MN in der cervikalen Region 86% der ALS-Patienten einen positiven PMR aufwiesen. Hierbei ergab sich eine Spezifität von 96,0% sowie eine Sensitivität von 86,8% (p<0,014). DISKUSSION: Die relative hohe Frequenz des PMR bei der MND zeigt, dass der PMR offensichtlich kein ausschließlich frontokortikales Disinhibitionszeichen darstellt. Unsere Daten unterstützen die Annahme, dass der PMR auch ein Zeichen der Läsion kortikospinaler Bahnen ist. In der klinischen Praxis ist der PMR bei der ALS kritisch zu werten. Liegt ein Bulbärsyndrom ohne Zeichen des 1. MN vor, ist der PMR kein sicheres Diagnosekriterium für eine Pyramidenbahnschädigung. Der PMR kann aber möglicherweise als Kriterium für die Beteiligung des 1. MN in der cervikalen Region gewertet werden.
BACKGROUND: Amyotrophic Lateral Sclerosis (ALS) is a Motor Neuron Degenerative disease (MND) characterized by progressive degeneration of cortical and spinal motor neurons (MN). Due to selective degeneration of motor neurons, ALS is considered a model disease of neurodegeneration. International standardized diagnosis criteria for ALS list palmomental reflex (PMR) as a criterion for damage to the pyramidal tract. Yet no systematic investigations of PMR in MND or ALS can be found in the existing literature. The present paper should elucidate: 1) the frequency of PMR in MND, 2) whether differences of PMR frequency exist between the subforms of MND, and 3) whether there is a group within ALS with a different manifestation of signs. METHODS: PMR was studied in 294 patients total. The MND patient population was subdivided into patients with ALS (n=251), patients with SSP (n=4), and SMA (n=9). Furthermore, a neurological control group without MND was studied (n=30). The ALS patients were further divided into four subgroups, based on the topical classification of the disease onset. The subgroups consisted of: Group 1 – typical ALS with signs of upper and lower MN (n=160), Group 2 – a variant of ALS with signs of lower MN (n=27), Group 3 – bulbar variant of ALS with upper and lower MN (n=54), Group 4 – bulbar variant of ALS with upper and lower MN without paresis of the extremities (n=8). RESULTS: A positive PMR was found in 61% of the investigated MND patients. In the ALS group, there was a positive PMR in 61 % of the patients. The analysis of ALS subgroups showed a positive PMR in: 66% of the patients in group 1, 4% of the patients in group 2, 83% of the patients in groups 3, and 25% of the patients in group 4. Further analysis of the subgroups according to body regions and involvement of upper and lower MN showed that 86% of the ALS patients exhibit a positive PMR when there are signs of upper MN involvement in the cervical region. This analysis had a specificity of 96.0% and a sensitivity of 86.8% (p<0.014). CONCLUSIONS: The relatively high frequency of PMR in MND shows that PMR is not an exclusively fronto-cortical sign of disinhibition. Our data support the assumption that PMR is also a sign of lesions of the corticospinal tract. In clinical practice, PMR in ALS must be analysed critically. In the presence of a bulbar syndrome without signs of upper MN affliction, PMR is not a conclusive diagnosis criterion for pyramidal tract damage. PMR can though possibly be taken as a criterion for the involvement of the upper MN in the cervical region.