Ein gängiges Vorurteil beschreibt den ländlichen Geldverleiher Indiens als Wucherer, der sich auf Kosten seiner Klientel bereichert. Doch wirtschaftsanthropologische und neoinstitutionalistische Erklärungsansätze werfen ein anderes Licht auf die Tätigkeit des ländlichen Geldverleihers. Im heutigen Indien, das sich aufgrund der besonderen historischen Bedeutung der Geldverleiher sowie der hohen Dichte von Bankfilialen im ländlichen Raum besonders als Beispielregion eignet, entpuppt sich der ländliche Geldverleiher als sozialer Insider, der im Vergleich zu ländlichen Banken einen erheblichen Informationsvorteil hat, der nicht nur für beide Vertragsparteien zu Kostenersparnis führt, sondern die Kreditvergabe an ländliche Arme oft erst ermöglicht. In der Phase nach Kreditauszahlung führen die soziale und kulturelle Nähe des ländlichen Geldverleihers, unkonventionelle Formen der Besicherung und der Schuldeneintreibung zu hohen Rückzahlungsquoten. Inwiefern der geforderte Kreditzinssatz als zu hoch oder gar wucherisch zu bewerten ist, muss dabei im Einzelfall geprüft werden. Soziokulturelle Besonderheiten der jeweiligen ländlichen Region und der Kreditnehmergruppen müssen dabei berücksichtigt werden. Drei wesentliche Faktoren nehmen Einfluss darauf, ob ein Geldverleiher ausbeuterisch tätig wird oder nicht: seine intrinsische Handlungsmotivation, die Machtverhältnisse und die infrastrukturellen Rahmenbedingungen. Gerade in Phasen der Transition können die Machtverhältnisse in der sozialen Gruppe unausgewogen sein, informelle Normen aufgrund der zunehmenden Bedeutung formeller Normen an Durchsetzungskraft verlieren und sich Anreize für die Geldverleiher ergeben, ihre Klientel auszubeuten. Um dies zu verhindern, sollte der Geldverleih nicht verboten, sondern die Rahmenbedingungen derart gestaltet werden, dass Ausbeutungsanreize minimal sind. Es zeigt sich, dass gerade im Kleinstkreditgeschäft an ärmere Bevölkerungsgruppen die Finanztechnologie der ländlichen Geldverleiher sehr vorteilhaft ist und die Flexibilität bezüglich der Rückzahlungsmodalitäten zu geringen Ausfallquoten führt. Indische Geldverleiher sollten in diesem Segment als Komplementäre zu den ländlichen formellen Banken angesehen werden. Ihre typische Finanztechnologie kann auch für Mikrofinanzinstitutionen interessant sein.
A common prejudice describes the rural moneylender as a usurer and loan shark exploiting his poor debtors. But a closer look on the basis of economic anthropological and new institutional approaches exhibits a better image of the rural moneylender. In India, which is because of the moneylenders’ historical importance and its high rural branch density an appropriate example, the rural moneylender seems more of a social insider, whose information advantage in comparison to formal banks enables crediting even the non-bankable rural poor and saves costs for both parties. After credit disbursement the rural moneylender’s social and cultural closeness to his clientele, unconventional forms of securing the loans and tailored debt collection methods guaranty high repayment rates. Whether interest rates are too high or even usurious in this context has to be examined in every single case. Socio-cultural characteristics of the region and of the target group in consideration have to be taken into account thereby. There are three main factors that influence, whether a moneylender exploits his clientele or not: his intrinsic motivation, the power relations within the social group in consideration and the infrastructural parameters. Especially in phases of transition the power relations in the social group might be out of balance, informal norms - because of the increasing importance of formal rules - might loose their binding power, and therefore there might be incentives for moneylenders to exploit their customers. Instead of the interdiction of the moneylenders, to prevent exploitation the general framework should be designed and maintained as to reduce exploitation incentives to a minimum. The financial technology of rural moneylenders in India is especially advantageous for microcredits to poorer people and their flexibility as to credit and repayment patterns leads to excellent repayment rates. For India, rural moneylenders should therefore be considered more as complements to the formal rural financial sector. Their financial technology may also be replicable for microfinance institutions.