Die vorliegende Arbeit versteht sich als Beitrag zur Erforschung der Alltagsgeschichte des Nationalsozialismus. Anhand von Krankenakten aus den Jahren 1942 bis 1944, Gerichts-, Verwaltungs- und Personalakten sowie Beiträgen in medizinischen Fachzeitschriften und Dissertationen aus den 1930er Jahren untersuche ich die Lebenswirklichkeiten der an der I. Berliner Universitätsfrauenklinik zwangssterilisierten Frauen. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit liegt in der Darstellung des Arbeitsalltags der an diesen Maßnahmen beteiligten Institutionen. Neben der Frauenklinik zählten hierzu die Gesundheitsämter und das Berliner Erbgesundheitsgericht. Die Stoeckel’sche Universitätsfrauenklinik gehörte zu den führenden Frauenkliniken im Deutschen Reich. Ihr Leiter, der seine Beziehungen zur nationalsozialistischen Führungsriege geschickt für die Interessen seines medizinischen Fachgebietes einzusetzen wusste, war als überzeugter Gegner von Schwangerschaftunterbrechungen und Empfängnisverhütung bekannt, sofern diese Maßnahmen nicht aus medizinischer Indikation erfolgten. Abtreibungen aus eugenischer Indikation und zumindest in einem Fall auch aus rassischer Indikation wurden an der Frauenklinik jedoch durchgeführt. Während sich Stoeckel in den 1920er Jahren in puncto eugenischer Sterilisationen noch zurückhaltend äußerte und diese Zurückhaltung medizinisch begründete, befürwortete er nach der nationalsozialistischen Machtübernahme uneingeschränkt das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, das Zwangsmaßnahmen einschloss. Die Berliner Universitätsfrauenklinik gehörte zu den zur Unfruchtbarmachung ermächtigten Anstalten, führte diese aber bereits vor ihrer offiziellen Zulassung durch. Zwischen 1934 und 1944 wurden an der Klinik mindestens 129 eugenisch indizierte Sterilisationen durchgeführt, zumeist gegen den Willen der betroffenen Frauen. Auch wenn man berücksichtigt, dass die vorliegenden Zahlen unvollständig sind, sind sie dennoch im Vergleich zu anderen Krankenhäusern als niedrig einzustufen. Die Ursachen hierfür dürften jedoch eher in lokalen und finanziellen Gegebenheiten zu suchen sein als in einer grundsätzlichen Ablehnung des Gesetzes durch Walter Stoeckel. Ein Ziel dieser Arbeit war es, die Lebenswirklichkeiten der zwangssterilisierten Frauen zu erkunden. Dabei musste berücksichtigt werden, dass die untersuchten Kranken- und Gerichtsakten in erster Linie den Blick der TäterInnen wiedergaben. Dieser Blick, dessen Maßstab die in hauswirtschaftlichen Dingen tüchtige deutsche Hausfrau war, reproduzierte in zahlreichen Untersuchungen und Tests die angebliche Minderwertigkeit der Probandinnen. Somit spielten an Geschlechtskategorien gebundene Zuweisungen eine entscheidende Rolle zur Begründung oder Ablehnung einer Unfruchtbarmachung. Gleichzeitig fanden sich jedoch auch Hinweise auf den Eigen-Sinn der betroffenen Frauen bzw. ihrer Angehörigen. Die Zuweisung „minderwertig“ wurde keinesfalls widerspruchslos hingenommen. Sowohl damalige Krankheits- und Körperkonzepte als auch die Bedeutung der Vererbung und das Primat der Volksgemeinschaft wurden von den Betroffenen in Frage gestellt.
The thesis is a contribution to the exploration of “Alltagsgeschichte” (History of Everyday Life) of National Socialism. Drawing upon medical records between the years 1942 and 1944, court files, dossiers and administration records as well as gynecological articles and dissertations of the 1930s, I examine the life situation of women who were sterilized at the first women’s clinic of Berlin’s University. Moreover, I explore the workday life of the institutions involved in these measures, like the local health offices and the “Erbgesundheitsgericht” (Hereditary Health Court). Stoeckel’s clinic was among the leading women’s clinics of the German Reich. He cleverly used his relations to national socialist leadership to lobby for professional interests. Stoeckel was known as a confirmed anti-abortionist and objector of contraception unless these methods were used for medical reasons. Abortions by eugenic indication and at least in one case by racial indication were however committed at the women’s clinic. While in the 1920s Stoeckel’s statement about eugenic sterilizations was cautious, he absolutely agreed to the „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ after the National Socialists took power. The women’s clinic of Berlin‘s University belonged to the group of authorized hospitals which executed these coercive operations. However, the doctors of the women’s clinic had conducted these interventions already before getting their official license. Between 1934 and 1944, at least 129 women were sterilized for eugenic reasons, mostly against their will. Although these numbers are fragmentary, they are – compared to other hospitals – quite low. The reasons for this difference are more likely to be found in local and financial circumstances rather than in a fundamental rejection of these interventions by Walter Steockel. One intention of this work was to look into the life situation of the sterilized women. Therefore it must be considered that the explored patient and court records reflect first and foremost the view of the actors. This view, with its benchmark of the successful German housewife, reproduces in many explorations and tests the pretended inferiority of the subjects. Thus gender categories had an important impact on whether one was sterilized or not. At the same time, there exist examples of self-will regarding the affected women and their relatives. The allocation of “inferiority” was not accepted without contradiction. The women concerned questioned body-concepts and ideas of illness of the time, as well as the importance of hereditary and the primacy of “Volksgemeinschaft“.