In der vorliegenden Arbeit wurde ein Lagrangesches Meßverfahren entwickelt, welches es erlaubt, chemische Ozonabbauraten in der arktischen Stratosphäre von dynamisch bedingten Änderungen der Ozonkonzentration zu trennen und damit den chemischen Ozonabbau zu quantifizieren. Das Verfahren beruht auf den koordinierten Starts von etwa 1000 bzw. 600 Ozonsonden in zwei Kampagnen 1994/95 und 1995/96. Die Starts erfolgten von 35 Stationen, die ein Netzwerk in der Arktis und in nördlichen mittleren Breiten bilden. Während der Kampagnen wurden in bestimmten Niveaus die Bahnen aller von den Sonden beprobter Luftpakete überwacht und vorhergesagt. Näherte sich eines der bereits beprobten Pakete an eine beteiligte Station an, wurde von dieser zum vorausberechneten optimalen Startzeitpunkt gezielt eine weitere Sonde in dieses Luftpaket hinein gestartet. Für die Koordinierung einer solchen Kampagne wurde die nötige Infrastruktur geschaffen. In diese waren außer dem Stationsnetzwerk selbst die Daten des Europäischen Zentrums für Mittelfristige Wettervorhersage, darauf basierende Trajektorienrechnungen, nahezu in Echtzeit, des Meteorologischen Instituts der Freien Universität Berlin und Strahlungstransportrechnungen der Universität Cambridge eingebunden. Chemische Ozonabbauraten ergaben sich aus einer statistischen Analyse der von einem Sondenpaar gemessenen Differenzen im Ozonmischungsverhältnis und der Zeiten, die das jeweilige Luftpaket in der Sonne verbracht hat. Durch den Einsatz der koordinierten Kampagnen ist es gelungen, den zeitlichen Verlauf und die vertikale Verteilung der chemischen Ozonabbaurate in den Wintern 1994/95 und 1995/96 detailliert zu bestimmen. Die Ergebnisse wurden zusammen mit einer Lagrangeschen Neuauswertung der Ozonsondendaten des arktischen Winters 1991/92 dargestellt. In allen drei Wintern wurde schneller chemischer Ozonabbau mit ähnlichen maximalen Raten von jeweils etwa 50 bis 60 ppbv bzw. 1,6 bis 1,7 % pro Tag festgestellt. Der in der Höhenschicht mit dem maximalen Abbau über den Winter akkumulierte chemische Ozonverlust betrug im Winter 1991/92 1,2 ppmv, im Winter 1994/95 2,0 ppmv und im Winter 1995/96 2,4 ppmv. Letzterer Wert entspricht einem Abbau von etwa 64 %, wenn er auf die Ozonmenge bezogen wird, die am Ende des Winters ohne die Wirkung der Chemie bei sonst gleicher dynamisch bedingter Ozoneinmischung vorgelegen hätte. Der akkumulierte chemische Verlust in der Ozongesamtsäule betrug im Winter 1994/95 etwa 130 DU. Der festgestellte chemische Verlust in der Ozonsäule entspricht in etwa der Menge, die in der gleichen Zeit durch dynamische Prozesse hinzugefügt wird. Durch die Auswirkung des chemischen Ozonverlusts sind die Ozongesamtsäulen in den Wintern 1994/95 und 1995/96 also auf einem konstantem Niveau geblieben, im Gegensatz zum normalen klimatologischen Anwachsen der Säulendichte in dieser Jahreszeit. Der chemische Ozonverlust wurde jedesmal und in allen Höhen von Perioden eingeleitet, in denen die Temperaturen unterhalb des Wertes lagen, ab dem die Bildung von Polaren Stratosphärischen Wolken (PSC) möglich ist. Er war generell auf die Zeiten beschränkt, die eine Luftmasse in der Sonne verbracht hat. Dieses Verhalten entspricht genau dem, was von der Theorie des durch heterogene Chemie induzierten und durch Halogenradikale katalysierten Ozonabbaus vorausgesagt wird. Der Verlauf des Rückgangs der Ozonabbaurate in der Erholungsphase machte deutlich, daß diese in der Arktis im wesentlichen von der Rückkehr der Sonne bestimmt wird. Als neues Ergebnis ist zu werten, daß der Prozeß der Erholung relativ unabhängig von der weiteren Existenz von PSCs ablief. Dieses wird erklärt durch ein Nachlassen der Effektivität der heterogenen Chemie in dem Moment, wo das gesamte HCl in der Luftmasse verbraucht ist. Die Effektivität der dann noch ablaufenden heterogenen Mechanismen war bisher nicht geklärt. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit deuten darauf hin, daß diese nur noch einen sehr begrenzten Einfluß auf die stratosphärische Chemie haben und nicht in der Lage sind, den Aufbau des Frühjahrsmaximums des Chlornitrats und den Rückgang der Ozonabbaurate entscheidend zu verzögern. Die Gesamtmenge des in einem Winter zerstörten Ozons scheint demnach unabhängiger vom Zeitpunkt der Erwärmung im Frühjahr zu sein, als bisher angenommen. Insbesondere hat dieser Effekt die Bildung eines arktischen Ozonlochs während der ungewöhnlich langen kalten Periode des Winters 1995/96 verhindert. Neben diesem den Ozonabbau in der Arktis offensichtlich eher begrenzenden Effekt wurde im Winter 1995/96 jedoch auch eine schmaler Höhenbereich gefunden, in dem der Ozonabbau lange nach Ende der PSC-Periode bis in den April hinein anhielt. Es wurde gezeigt, daß dies nur als die erste Beobachtung der Auswirkung von Denitrifizierung auf den Ozonabbau in der Arktis interpretiert werden kann. Diese Beobachtung zeigt, daß Denitrifizierung auch in der Arktis (wie regelmäßig in der Antarktis) Ausmaße erreichen kann, die eine signifikante Verlängerung des Ozonabbaus bewirken. Beide gefundenen Effekte zusammen legen nahe, daß eine Verlängerung der PSC-Temperaturen im Frühjahr in der Arktis kaum zu Ozonverlusten führen kann, die dem antarktischen Ozonloch vergleichbar wären. Das Auftreten von extrem kalten Temperaturen, welche durch die Bildung von Eiswolken schwerwiegende Denitrifizierung hervorrufen können, kann demgegenüber jedoch auch in der Arktis den Ozonverlust im Frühjahr derart verlängern, daß die Bildung eines arktischen Ozonlochs denkbar erscheint. Dazu müßte jedoch in den nächsten Jahrzehnten, solange die stratosphärische Chlorbelastung noch groß ist, ein Winter mit noch weiter zeitlich und räumlich ausgedehnten Existenzbedingungen für Eiswolken auftreten, als dies 1995/96 der Fall war. Solche meteorologischen Bedingungen finden sich in der 30-jährigen Berliner Reihe bisher nicht. Für die weitere Entwicklung der arktischen Ozonverluste ist es demnach entscheidend, ob sich erste Hinweise auf einen Abkühlungstrend der polaren Stratosphäre in Zukunft bestätigen.
In this work a new Lagrangian approach, termed 'Match', has been developed to separate chemically induced ozone loss in the Arctic stratosphere from ozone changes due to dynamical effects and to quantify the rate of chemical loss. The main element of the new approach is the coordinated launch of 600 to 1000 ozonesondes in large international campaigns. Two of these measurement campaigns were carried out during the Arctic winters of 1994/95 and 1995/96. The ozone soundings were perfromed by a network of 35 stations in the Arctic and northern mid-latitudes. During the campaigns the motions of all air masses probed by any of these sondes at certain pre-defined levels were tracked and predicted. If a previously probed air mass approached one of the contributing stations, a second sonde was launched into this air mass at the forcasted optimal launch time. The infrastructure necessary for the real-time coordination of the launches was developed and set up. Beside the network of ozonesonde stations, the European Centre for Medium Range Weather Forecast (ECMWF), near real-time trajectory calculations of the Free University of Berlin, and radiation transport calculations of the University Cambridge were part of this infrastructure. Chemical ozone loss rates were derived from statistical analyses of the individual pairs of ozone measurements that are linked by the air mass trajectories, and the periods of time these air masses encountered sunlight between the measurements. Due to the new approach and the coordinated campaigns the time evolution and the vertical distribution of chemical ozone loss was successfully determined for the winters 1994/95 and 1995/96. The results are presented together with a Lagrangian reanalysis of the ozone loss during the Arctic winter 1991/92.