Im Verlauf des 20. Jahrhunderts sind in einer Reihe westlich-demokratischer Staaten territoriale Konflikte virulent geworden, die auf ethnisch-kulturelle bzw. nationale Spaltungslinien in den Gesellschaften zurückgehen; exemplarisch hierfür stehen die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Sprachgruppen in Belgien, die Unabhängigkeitsbewegungen in mehreren Regionen Spaniens oder auch die Separationsbestrebungen der kanadischen Provinz Quebec. Demokratische Staaten haben in den vergangenen Jahrzehnten zumeist versucht, auf derartige Konflikte mit institutionellen Reformen zu reagieren, die auf föderalen Arrangements basierten, also eine begrenzte Form politischer Autonomie für die betroffenen Gebiete vorsahen. Dass derartige Maßnahmen geeignet sind, die genannten Konflikte wenn nicht zu lösen, so doch zumindest einzudämmen, wurde nicht nur im politischen, sondern auch im wissenschaftlichen Diskurs zumeist vorausgesetzt, aber kaum je empirisch-vergleichend überprüft. Die vorliegende Studie setzt hier an und stellt diese Grundannahme territorialer Institutionenpolitik in Frage. Ausgegangen wird dabei zunächst von den Erkenntnissen der sozialwissenschaftlichen Nationalismusforschung, denen zufolge Nationen und Ethnien keine primordial-unveränderlichen Einheiten, sondern als sozial konstruierte Kollektividentitäten prinzipiell wandelbar sind. Zudem hat die Forschung zum Zerfall der einstigen kommunistischen Föderalstaaten (UdSSR, Jugoslawien, Tschechoslowakei) zeigen können, dass föderale Strukturen, deren Einheiten durch nationale Zuschreibungen definiert sind, durchaus dazu beitragen können, die entsprechenden nationalen Identitäten in der Bevölkerung und daraus abgeleitete politische Programme noch zu verstärken. Übertragen auf die genannten Konflikte in westlichen Demokratien hieße das, dass die Politik der föderalen Arrangements diese nicht eindämmen bzw. lösen, sondern vielmehr zusätzlich anfachen würde. Empirisch werden nach der Differenzmethode drei Konfliktfälle qualitativ-vergleichend analysiert: die Auseinandersetzungen in den spanischen Regionen Baskenland und Katalonien (als jeweils eigenständige Fälle) sowie der eingangs benannte belgische Konflikt unter der Perspektive des immer deutlicher zutage tretenden flämischen Strebens nach Separation. Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf die Auswirkungen der seit den 1960er bzw. 1970er Jahren betriebenen Institutionenpolitik der föderalen Arrangements auf den entsprechenden Konflikt, insbesondere dessen Intensität und Austragungsformen. Die drei Fälle bieten vergleichsweise homogene Kontexte, vor allem eine traditionell unitarische, am französischen Vorbild ausgerichtete Staatsorganisation sowie eine deutliche Kongruenz national- kultureller und sozio-ökonomischer cleavages. Hingegen ist die Ausgestaltung der föderalen Arrangements, insbesondere die Reichweite der Autonomie – mithin die unabhängige Variable – zwischen den Fällen (auch zwischen den zwei „spanischen“ Fällen) deutlich unterschiedlich ausgeprägt. Im Ergebnis zeigt sich, dass weder eine positive noch eine negative Korrelation zwischen Reichweite der Autonomie und der Konfliktintensität besteht. Zwar lässt sich in allen drei Fällen mit der zunehmenden Etablierung politischer Autonomie und damit einhergehender Konfliktregelungsmechanismen eine veränderte Konfliktaustragung feststellen, insbesondere ein Verschwinden oder zumindest ein deutlicher Rückgang von gewaltsamen Artikulationsformen. Die Auseinandersetzungen wurden gleichsam von der Straße in die Parlamente verlagert. Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich der grundsätzlichen Unterstützung separatistischer Positionen in der Bevölkerung und der Wahl separatistischer Parteien: diese blieb auch nach mehreren Jahrzehnten der Politik föderaler Arrangements entweder konstant (Baskenland) oder stieg sogar an (Flandern, Katalonien). Mittels Gewährung politischer Autonomie lässt sich das Streben von sich national definierenden Regionen nach Unabhängigkeit also nicht aufhalten oder reduzieren.
In the course of the 20th century, ethnic-cultural or national conflicts became virulent within several western democratic states, e.g. the dispute between the linguistic groups in Belgium, the independence movements in some Spanish regions or the separatism in the Canadian province of Quebec. In the past decades, democratic states usually tried to confront these conflicts with institutional reforms based on federal arrangements, i.e. a limited form of political autonomy for the territories in question. The appropriateness of such measures for accommodating, if not solving, the mentioned conflicts was usually assumed in political as well as academic discussions, but rarely verified in empirical studies. This basic assumption of territorial politics is questioned by this thesis. Research on nationalism has showed that nations and ethnic groups are no primordial unalterable entities, but socially constructed collective identities and as such subject to possible change. Furthermore, research on the collapse of the former communist federations (USSR, Yugoslavia, Czechoslovakia) has demonstrated that federal structures with entities defined by national ascriptions can indeed contribute to strengthening national identities within the population as well as nationalist political programmes. Transferred to the mentioned conflicts in western democracies, this would mean that the politics of federal arrangements do not accommodate or solve, but intensify them. Following the method of difference, three conflict cases are analysed in a qualitative comparative way: the Spanish regions Basque Country and Catalonia (both as cases of their own) and the mentioned Belgian conflict from the perspective of the Flemish pursuit of separation, which becomes always clearer. Research concentrates on the effects of the institutional politics of federal arrangements since the 1960s or 1970s respectively, especially on the intensity and form of the conflicts. The three cases offer relatively homogeneous contexts, especially a traditionally unitarian state organisation, following the French example, as well as a clear convergence of national-cultural and socio-economic cleavages. On the contrary, the form of the federal arrangements, particularly the reach of the autonomy – i.e. the independent variable – features considerable differences, even between the two “Spanish” cases. As a result it is shown that there is neither a positive nor a negative correlation between the reach of the autonomy and the intensity of the conflict. In all three cases, changed conflict forms can be detected with the establishment of political autonomy. The conflicts were literally transferred from the streets into the parliaments. However, the support of separatist positions among the population and the election of separatist parties remained either constant (Basque Country) or did even increase (Catalonia, Flanders). The concession of political autonomy is thus no appropriate means for stopping or reducing the pursuit of independence in regions which define themselves as nations.