Wenn die abendländische Philosophie das Altern thematisiert, dann steht das Bestreben seiner Bewältigung im Vordergrund. Ebenso ist der aktuelle bundesrepublikanische Diskurs um die alternde Gesellschaft von einem Fokus auf Bewältigung des Alterns geprägt. Die ethische Intersubjektivitätstheorie von Emmanuel Levinas ist dagegen lesbar als eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Altern, in der dessen Dimension eines Nicht-zu-Bewältigenden im Mittelpunkt steht. Das Altern erweist sich dort als ein Strukturelement der menschlichen Subjektivität und Intersubjektivität. Als eine solche intersubjektiv grundierte „Subjektivität des Alterns“ – "subjectivité du vieillissement" – erhält es den Status eines philosophischen Grundbegriffs. Die Subjektivität des Alterns ist das beständige Entzugsgeschehen einer subversiven leiblichen Intensität, die eine gesteigerte Sensibilität sowohl für das eigene als auch für das Altern des Anderen ermöglicht. Die "subjectivité du vieillissement" steht immer im konkreten Kontext kultureller oder politischer Gemeinschaften: Wohngemeinschaften mit ethischer Vorratshaltung. Das Wohnen erhält seinen Sinn durch die "subjectivité du vieillissement", es ist eine Bewältigung des Alterns. Die Bewältigung des Alterns hat positive Seiten: Wissen, Sinngebung, praktische Organisation, Gebräuche und Gewohnheiten, ethische Vorratshaltung und politisch-juristische Institutionen. Im Wohnen wird eine humanistische Bewältigung des Alterns möglich: Das Festhalten an den Potentialen des Menschen – an Humanisierung – trotz aller Vergänglichkeit (tragischer Humanismus), sich an die Stelle des Anderen setzen und ihm Gleichheit zustehen zu können (Humanismus des anderen Menschen). In den aktuellen Altersdiskursen und Generationenpolitiken können sowohl die Bedürfnisse der Einzelnen als auch Prinzipien wie Generationengerechtigkeit eine Rolle spielen. Neben ihren positiven Seiten aber birgt die Bewältigung des Alterns im Wohnen auch Gefahren: Besinnungsferne Selbstgenügsamkeit, Verlust von Singularität, Ökonomisierung, Bewältigungswahn, ethische Desensibilisierung der Wohngemeinschaft. Ein zeitgenössischer Humanismus nimmt das Nicht-zu-Bewältigende des Alterns auf. Er verschließt sich nicht vor „letzten Fragen“ und Abgründen ohne Antwort, er verdrängt nicht Traurigkeit, Leid und Schwäche. Er ist ein subversiv- politischer Humanismus, weil er die allgemeinen Ordnungen des menschlichen Zusammenlebens am Maßstabe der singulär Alternden und der in diesen Ordnungen möglichen Qualität der intersubjektiven Beziehungen bemisst. Er ist ein ethischer Humanismus, weil er die Verantwortung für den Anderen nicht an die allgemeinen Ordnungen delegiert. Die aktuellen Altersdiskurse und Generationenpolitiken befördern nicht die persönliche und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Grenzsituationen des Nicht-zu-Bewältigenden, sie erschweren die Singularität des je eigenen Alterns und vor allem das ethische Geschehen zwischen den Alternden. Der Sinn der Philosophie liegt nicht einfach darin, philosophische Stellungnahme eines Autors zu einem Thema zu sein; Philosophie ist immer auch Anrede und Antwort auf den Anderen.
Philosophy, when addressing the topic of ageing, prioritizes the desire of mastering it. Equally, the current discourse on the ageing society in Germany is characterized by a focus on mastering ageing. In contrast to that, Emmanuel Levinas’ ethical theorie of intersubjectivity is readable as a philosophical examination of ageing, focusing on its dimension of something which cannot be mastered. There, ageing is a structural element of the human subjectivity and intersubjectivity. As such an intersubjective “subjectivity of ageing” – "subjectivité du vieillissement" – it receives the status of a philosophical basic term. The subjectivity of ageing means a continuous withdrawing of a subversive corporal intensity, which allows for an enhanced sensibility for the own ageing as well as for the ageing of the other. The "subjectivité du vieillissement" always stands in a specific context of cultural or political communities: Residential communities with ethical stockpiling. This sort of cohabitation is informed by the subjectivité du vieillissement, it is a manner of mastering ageing. The mastering of ageing also has upsides: Knowledge, giving meaning, practical organisation, customs and habits, ethical stockpiling and political-juridical institutions. Cohabitation enables a humanistic mastering of ageing: An adherence to the potentialities of human beings – to humanization – despite the irreversible passing of time (tragical humanism), being able to put oneself in the place of the other and to accept equality (humanism of the other). Both the needs of the individual and principles like intergenerational justice can play a role in the current discourses on ageing and the policies of generation. Despite its upsides, the mastering of ageing through cohabitation bears its dangers: Nonreflective self-sufficiency, the loss of singularity, economisation, the mania to master ageing, the ethical desensitisation of residential communities. However, a contemporary humanism includes the impossibitliy to master ageing. It does not ignore “last questions” and abysses without answer, it does not suppress sadness, suffering and weakness. It is a subversive-political humanism because it measures the general regulations of living together in communities by the criterion of the ageing individual and the quality of intersubjective relations possible within these regulations. It is an ethical humanism because it does not delegate responsibility for the other to general regulations. Instead of promoting both personal and social debates about the borderline situations of what cannot be mastered, the current discourses on ageing and the generation policy in Germany hamper the singularity of each individual process of ageing and of ethical issues between the ones ageing. The purpose of philosophy does not only lie in a philosophical statement made by an author to a specific subject, philosophy also always means to address and to answer the other.