Das veränderte Verständnis von Karies spiegelt sich auch in einem veränderten Therapiekonzept wider: Statt einer rein symptomatischen Entfernung der kariösen Läsion wird vielmehr versucht, die Zusammensetzung und die metabolische Aktivität des dentalen Biofilms als Ursache der Erkrankung zu kontrollieren. Für tiefe Läsionen wird daher weniger auf eine vollständige Ausräumung des infizierten Dentins abgezielt, die wahrscheinlich durch Exkavation ohnehin nicht erreicht werden kann, sondern auf eine Kontrolle der Aktivität der Läsion. Dabei wird auf das Prinzip der Versiegelung der im Dentin verbleibenden Mikroorganismen zurückgegriffen: Versiegelte Bakterien sind von der Zufuhr mit Kohlenhydraten abgeschnitten, wodurch die Läsion inaktiviert wird. Der klassischen vollständigen Exkavation werden demnach Konzepte gegenübergestellt, die bewusst demineralisiertes bzw. infiziertes Dentin zeitweise oder dauerhaft unter einer Restauration belassen. Da bei letzterem Konzept in der Peripherie der Kavität andere (traditionelle) Exkavationskriterien als in Pulpanähe genutzt werden, wurde in der vorliegenden Arbeit der Begriff der selektiven Kariesexkavation zur Bezeichnung dieser Exkavationsstrategie genutzt. Die Wirksamkeit der selektiven Kariesexkavation und die möglichen positiven Langzeitfolgen sowie das gegenüber alternativen Exkavationsstrategien vorteilhafte Kosten- Wirksamkeits-Verhältnis wurden durch die durchgeführten Studien belegt. Bisher liegen jedoch wenige Studien mit patienten-zentrierten Ergebnissen vor, und vor allem die Umsetzung in der allgemeinzahnärztlichen Praxis ist nicht gegeben. Dafür sind Zweifel an der Arretierbarkeit kavitierter Läsionen und an der Stabilität und Integrität der Restauration verantwortlich, zudem herrscht Unsicherheit über den Umgang mit der röntgenologischen Sichtbarkeit von unter einer Restauration belassenen kariösen Läsionen: Diese könnten von anderen, nicht mit dem Verfahren der selektiven Exkavation vertrauten Zahnärzten als Behandlungsfehler angesehen und unnötigerweise nachbehandelt werden; zudem ist eine Abgrenzung von arretierten und progredienten belassenen Läsionen röntgenologisch nur schwer möglich. Letztlich steht eine Therapie wie die selektive Exkavation, bei der kariöses Dentin aktiv unter einer Restauration belassen wird, in Konflikt mit den Deutschland herrschenden Regulationen, was die Umsetzung in der Praxis zusätzlich behindert. In den durchgeführten Studien konnte gezeigt werden, dass selektiv statt vollständig exkavierte Zähne nicht zwingend mechanisch kompromittiert sind: Weder die Frakturresistenz noch die Integrität der zervikalen Restaurationsränder waren signifikant verschieden zwischen selektiv und vollständig exkavierten Zähnen in vitro. Dementsprechend konnten auch für die Anfälligkeit für Karies am Restaurationsrand und für die Mikroleakage zwischen Zahn und Restauration kein Unterschied zwischen verschieden exkavierten Zähnen gezeigt werden. Warum das belassene demineralisierte, weichere und weniger adhäsionsfreundliche Dentin keine signifikant nachteiligen Effekte auf die besagten Parameter hatte, konnte nicht geklärt werden, und basierend auf dem laborexperimentellen Charakter der Studien sind klinische Schlüsse nur begrenzt möglich. Weiterhin wurde ein Verfahren zur Markierung von bewusst im Rahmen einer selektiven Exkavation belassenen Läsionen entwickelt, dass auf röntgenopake Lösungen auf Zinnchloridbasis zurückgreift. Eine solche Markierung war geeignet, belassene Läsionen röntgenologisch zu maskieren; zudem war in vitro eine Abgrenzung aktiver und inaktiver Läsionen möglich. Die klinische Erprobung und die Klärung möglicher positiver oder nachteiliger Nebenwirkungen stehen aus. Ausgehend von den durchgeführten Studien sollten bereits angestoßene Diskussionsprozesse intensiviert werden, um sowohl emotionale als auch faktische Hürden bei der Umsetzung einer selektiven Exkavation in der zahnärztlichen Praxis abzubauen. Die Ergebnisse der dargestellten Studien sind geeignet, neue Perspektiven für laborexperimentelle und klinische Forschung aufzuzeigen und vorherrschende Therapiekonzepte kritisch gegenüber wissenschaftlicher Evidenz zu prüfen.
An evolving understanding of caries is reflected by changing treatment concepts. Controlling the lesion and its activity has replaced mere lesion removal. Sealing caries lesions is increasingly seen as a valid option, with sealed bacteria inactivating due to nutritional deprivation. As a consequence, alternatives to the traditional "complete" removal of carious dentin are available, like stepwise or selective excavation. The latter strategy seals carious dentin beneath the restoration, and seems especially suitable for deep caries lesions, as the risks of pulpal exposures and complications might be reduced compared to the conventional approach. The evidence for this selective excavation is systematically appraised. The cost-effectiveness is assessed and study results extrapolated using economic models. It is assessed how dentists excavate deep lesions in German practices, and barriers of translating the benefits seen in scientific studies into daily practice are identified. Based on this, the fracture resistance and margin integrity of selectively compared with completely excavated teeth are assessed. Last, the diagnostic uncertainy associated with the radiolucency beneath the placed restoration, caused by the remaining demineralized dentin, is addressed.