Die leitende Fragestellung der Dissertation lautet: Welche gerechtigkeitspolitischen Leitbilder verfolgt die rot-grüne Regierung in den armuts- und arbeitsmarktpolitischen Politikarenen und wie wird diese Politik öffentlich vermittelt? Im Mittelpunkt steht die Analyse der normativen und gerechtigkeitsbezogenen Vermittlungsdiskurse gegenüber der Öffentlichkeit. Untersucht wird die diskursive Praxis als politisches Handeln: diskursives Handeln ist politisches Handeln. Die Arbeit zeigt, dass die Institutionalisierung von Gerechtigkeitskonzepten die Sozialstaatsdiskussion wesentlich bestimmt hat. Sozialpolitische Debatten und Reformen werden bislang aber nicht systematisch nach Gerechtigkeitsvorstellungen untersucht. Hierzu will die Arbeit einen Beitrag leisten, indem sie in einer Analyse der Gerechtigkeitspolitik zeigt, wie die normativen Grundlagen der sozialpolitischen Institutionen in den Politikfeldern Armutsbekämpfung und Arbeitsmarkt institutionell verändert und neu legitimiert werden. Damit verbunden ist die Frage, welche institutionalisierten Gerechtigkeitsnormen den deutschen Sozialstaat begründen. Der deutsche Sozialstaat zeichnet sich durch das Äquivalenzprinzip aus, das Leistung mit Gerechtigkeit verbindet und Existenzsicherung allein als Bedarfsprinzip, das als Ausfallbürge dient, zulässt. Die Ankündigung der SPD zur Reform des Sozialstaats war vielversprechend, auch die Bündnisgrünen wollten einen Wechsel der Politik. Die Suche nach einer neuen Vision sozialer Gerechtigkeit wird bei den Grünen in einem neuen Grundsatzprogramm verabschiedet, parallel dazu wirkt eine Reformpraxis von Leistungskürzungen. Dies führt in eine Sackgasse von Begründungsarmut, die vor allem die SPD schwächt. Als neue Leitbilder sollen die sozialpolitische Aktivierung sowie Fordern und Fördern etabliert werden. Das Individuum soll mehr Verantwortung übernehmen, das Leitbild Gerechtigkeit wird individualisiert. In gerechtigkeitspolitischer Dimension bedeutet dies eine Verschiebung von Verteilungsgerechtigkeit zu Teilhabe, zu sozialer Integration. Der enabling state soll Arbeitsbereitschaft und Beschäftigungsfähigkeit sichern – Integration in den Arbeitsmarkt ist Gerechtigkeit, Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt ist ungerechter als Ungleichheit. Die neue sozialdemokratische – und natürlich bündnisgrüne – Gerechtigkeit, die sich an der Beschäftigungsfähigkeit orientiert, kann als paradigmatischer Wandel verstanden werden. Hartz IV stellt den politischen Kern dieser normativen Wende dar, dessen diskursive Vermittlung in die Öffentlichkeit jedoch nicht gelingt. Über verschärfte Mitwirkungs- und Offenlegungspflichten etc. wird zwar öffentlich diskutiert, es kommt aber eben nicht zu einer normativen Begründung dieser Politikziele. Am Ende zeigt die Diskurs-Bilanz: es herrscht Sprachlosigkeit bei den Reformen vor, weil eine tragfähige, gesellschaftlich anschlussfähige normative Begründung fehlt. Auch innerhalb der sozialdemokratischen Partei führt die Richtungslosigkeit zu einer Zerreißprobe. Allein die Proklamation von Teilhabegerechtigkeit kann nicht den alten Gerechtigkeitsdiskurs integrieren, wenn nicht gelingt, die normativen Grundlagen dieser veränderten Erwartungen zu formulieren. Die Diskursstrategie lässt sich auch als Herrschaft der ExpertInnen qualifizieren, was mit dazu führt, dass die Konzeptlosigkeit, die sich vor allem in der sich ständig wiederholenden Missbrauchsdebatte manifestiert, immer sichtbarer wird.
The research question of the dissertation is: Which normative principles lead the red-green government in the policy arenas of poverty and labour market politics? Centre of the analysis are the communicative discourses concerning normative and justice questions towards the public. Discursive practice is examined as politics: discursive practice is political action. The study shows that welfare state debates have been significantly determined by concepts of social justice. However, welfare reform debates and reforms have not yet been systematically analysed on ideas of justice. This work aims to contribute to that by showing that justice policies change and legitimate normative principles of institutions in policies against poverty and in labour market policies. Related to this is the question which institutionalised justice values characterize the German welfare state. The German welfare state is characterized by the concept of equivalence that connects performance with justice while securing one’s livelihood is only ruled by the principle of need. The Social Democratic Party promised welfare state reforms, the Greens as well aimed at a political change. Searching for a new vision leads to a new Green basic programme flanked by a policy of cutbacks. This leads to a dead end of missing justification that weakens mainly the social democrats. Activation as well as “Fordern und Fördern’’ are supposed to become the guiding principles. The individual has to take over more responsibility, the justice model being individualised. This means a shift from distributive to participative justice, towards social integration. The enabling state should ensure readiness for work and employability – integration into the labour market is justice, exclusion from work is more unfair than inequality. The new social democratic – as well as the Green – justice which is geared to the capability of being employed can be understood as a paradigm shift. “Hartz IV” is the political core of this normative change which does not get successfully communicated to the public. Whereas discussions on public disclosures and tightened duties to cooperate are discussed in public, normative arguments for those political aims are lacking. In the end the discursive result shows that the reforms are ruled by speechlessness since a sustainable normative argument is missing which links to societal values. The lack of direction also leads to an acid test inside the SPD. Simply proclaiming participative justice cannot integrate the old justice discourse as long as the normative grounds of these changed expectations are not being qualified. The discourse strategy is also evaluated as lead by experts which makes the lack of political concepts even more apparent.