Präeklampsie ist eine schwangerschaftsspezifische Systemerkrankung, die mit Hypertonus, Proteinurie und häufig auch mit peripheren Ödemen klinisch in Erscheinung tritt, deren Ätio- logie aber bis heute noch weitgehend ungeklärt ist. Wahrscheinlich ist eine insuffiziente Invasion des Trophoblasten in das uterine Gefäßbett Auslöser einer Kaskade, die letztendlich zur Entstehung des Krankheitsbildes führt. Zahlreiche Faktoren sind an der Pathogenese der Präeklampsie beteiligt, so auch der Wachstumsfaktor VEGF, der für Veränderungen der vaskulären Reaktivität und der Endothelmorphologie sowie für Aktivierung verschiedener Zellgruppen (z.B. Thrombozyten, Leukozyten) im mütterlichen Kreislauf verantwortlich gemacht wird. Sein Rezeptorsystem, vor allem der Tyrosinkinaserezeptor FLT-1, der als einziger VEGF-Rezeptor auf Zellen des peripheren Blutes exprimiert wird, und seine lösliche Variante sFLT standen im Mittelpunkt dieser Arbeit. Während die Funktion des FLT-1 auf Monozyten bereits beschrieben wurde (hier vermittelt er VEGF-induzierte Chemotaxis und Tissue-factor-Produktion), war bislang unklar, welche Bedeutung ihm bei neutrophilen Granulozyten zukommt, die als Effektorzellen bei Präeklampsie in ihrer Interaktion mit dem mütterlichen Endothel von Interesse sind. Auch sollte untersucht werden, ob die Expression des Rezeptors auf diesen Zellen durch seinen Liganden VEGF beeinflusst werden kann und ob eine solche Rückkoppelung möglicherweise bei Präeklampsie oder auch im Verlauf unkomplizierter Schwangerschaften zum Tragen kommt. Deshalb wurde die FLT-1 Expression der neutrophilen Granulozyten normotensiver Schwangerer und Präeklampsie-Patientinnen sowohl auf Protein- als auch auf RNA-Ebene untersucht. Dabei kamen die Durchflusszytometrie und RT-PCR zum Einsatz. Es zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen beiden Kollektiven (p 0,001). Während die Probandinnen mit normalem Schwangerschaftsverlauf eine mit dem Gestationsalter zunehmende Expression des VEGF-Rezeptors aufwiesen, blieben die Ergebnisse bei Präeklampsie ohne erkennbare Anpassung an den Schwangerschaftsfortschritt auf stationär niedrigem Niveau (der Median der in der Durchflusszytometrie ermittelten FLT-1-Expression in der 32. Woche lag bei normotensiver Schwangerschaft bei 463, betrug in der Präeklampsie-Gruppe aber nur 357). In dieser Arbeit gelang es erstmals nachzuweisen, dass neutrophile Granulozyten an der Produktion der löslichen Rezeptorvariante sFLT beteiligt sind. Dabei war die Expression der mRNA in beiden Kollektiven dem vollständigen Rezeptor vergleichbar. Zur Klärung der Liganden-Rezeptor- Interaktion wurden in-vitro-Stimulationsversuche unternommen, bei denen die FLT-1-Expression der in Zellkultur überführten Granulozyten vor und nach 24h Inkubation mit VEGF bestimmt wurde. Hierbei zeigte sich, dass bei Präeklampsie jegliche Anpassung der Rezeptorexpression an die vorliegende Konzentration des Liganden aufgehoben ist. Bei normotensiver Schwangerschaft hingegen folgte auf erhöhte VEGF-Konzentration auch eine Steigerung der FLT-1-Expression. Da die funktionellen Aspekte des VEGF-Rezeptorstatus der Granulozyten noch ungekärt waren, etablierten wir in Anlehnung an die in der Literatur für Monozyten beschriebenen Versuchsreihen einen für neutrophile Granulozyten geeigneten Migrationsassay. Es stellte sich heraus, dass die VEGF-induzierte Migration auch bei dieser Zellart ein FLT-1-vermittelter Effekt ist. Bei normotensiver Schwangerschaft zeigte sich eine von der jeweiligen VEGF-Konzentration positiv abhängige Migrationsfähigkeit. Hingegen unterschieden sich bei Präeklampsie die Zahlen der unter VEGF-Einfluss gewanderten Zellen gegenüber den ohne chemotaktische Substanz durchgeführten Kontrollen nicht signifikant, auch eine Modifikation der eingesetzten VEGF-Konzentration blieb ohne Effekt. Dabei kann ausgeschlossen werden, dass diese Resultate Ausdruck einer bei Präeklampsie generell eingeschränkten Migrationsfähigkeit der Granulozyten handelt. In parallelen Versuchsreihen mit der unabhängig von VEGF-Rezeptoren chemotaktisch wirkenden Substanz fMLP wanderten die Zellen den gesunden Kontrollen entsprechend. Die Bedeutung dieser Ergebnisse für die Pathogenese der Präeklampsie könnte sich aus den besonderen Eigenschaften der Rezeptoren FLT-1 und sFLT ableiten. Während sFLT mit dem Verlust der Transmembran- und Tyrosinkinasedomäne die Möglichkeit zur Vermittlung biologischer Effekte gänzlich eingebüßt hat, scheint auch bei FLT-1 die Potenz zur Mediation VEGF- induzierter Signale eingeschränkt. Vielmehr fungieren beide Rezeptortypen als endogene Antagonisten des Wachstumsfaktors VEGF, die seine Auswirkungen auf den Organismus limitieren. In der Schwangerschaft bedarf es im Rahmen des Wachstums der fetoplazentaren Einheit lokal gesteigerter Angiogenese. Erhöhte Konzentrationen von VEGF sind daher physiologisch, gleichzeitig für den maternalen Kreislauf aber nicht unproblematisch, würde der Wachstumsfaktor seine Effekte �ungebremst� entfalten können: Endotheliale Dysfunktion mit Hypertonie, Proteinurie und dem Auftreten von Ödemen als Ausdruck veränderter Reaktivität, Morphologie und Permeabilität wären die Folge. Ein intaktes System von antagonistischen Einflüssen ist demnach sinnvoll. Bei Präeklampsie zeigen sich aber deutliche Störungen dieses Systems. FLT-1 und sFLT werden gegenüber den Kontrollen vermindert exprimiert und wie die Stimulationsversuche dieser Arbeit zeigen, kann auch keine Anpassung der Rezeptorexpression mehr erfolgen. Die normotensiven Schwangeren hingegen reagierten auf erhöhte Verfügbarkeit von VEGF mit gesteigerter FLT-1-Expression und stärkten so die Annahme eines endogenen Schutzmechanismus. Die eingeschränkte VEGF-induzierte Migration der Granulozyten bei Präeklampsie ist besonders von Interesse, erlaubt man sich den Ausblick auf andere FLT-1-tragende Zellarten. So exprimieren beispielsweise auch Trophoblastzellen den VEGF-Rezeptor. Sollten sich hier in quantitativer und funktioneller Hinsicht Parallelen zum Rezeptorstatus der neutrophilen Granulozyten ergeben, ist es denkbar, dass die verminderte Migrations- und Invasionsfähigkeit des Trophoblasten, die am Anfang der Pathogenese der Präeklampsie steht, auf der Alteration des VEGF- Rezeptorsystems beruht.