Der Chaco-Krieg zwischen Bolivien und Paraguay war der größte zwischenstaatliche Konflikt in den Amerikas des 20. Jahrhunderts. Die beiden südamerikanischen Länder kämpften zwischen 1932 und 1935 um den nördlichen Teil der Gran Chaco Region, den Chaco Boreal. Beide Länder beanspruchten das Gebiet als unveräußerlichen Teil ihres Nationalterritoriums, obwohl sich die Halbwüste und ihre Bewohner seit Beginn der europäischen Kolonialisierung einer staatlichen Kontrolle entzogen. Die vorliegenden Forschungsarbeit untersucht, wie Bolivien und Paraguay im Vorfeld des Krieges versuchten, den Chaco Boreal zu einem Teil ihres Nationalterritoriums zu machen und dieses so zu konsolidieren. Es wird die Geschichte von der Transformation eines Raumes in Nationalterritorium geschrieben. Ausgehend von der Theorie der Raumproduktion nach Henri Lefebvre und den darauf aufbauenden Überlegungen von Neil Brenner und Stuart Elden wird hier die Geschichte der Produktion des Nationalterritoriums von Bolivien und Paraguay im Chaco Boreal untersucht. Während der 1920er Jahre spitzte sich der Konflikt um den Chaco Boreal zu, da sich Bolivien von dem Besitz des Gebietes und insbesondere eines schiffbaren Hafens am Paraguay-Fluss einen Ersatz für den nach dem Krieg gegen Chile verlorenen gegangenen Meereszugang und die wirtschaftliche Inwertsetzung des Tieflandes in der Osthälfte des Landes versprach. Paraguay wollte genau dies um jeden Preis verhindern: Ein Bolivien, das eine effektive Präsenz auf dem Paraguay-Fluss hätte, sahen die führenden paraguayischen Politiker aller Parteien als Bedrohung für die ohnehin fragile Souveränität des Landes. Um ihre jeweiligen Ansprüche vor verschiedenen internationalen Vermittlungsinstanzen zu verteidigen, mussten beide Länder in dem umstrittenen Territorium eine staatliche Präsenz nachweisen können. So lieferten sich Bolivien und Paraguay einen „Wettlauf um den Chaco“, ähnlich wie die europäischen Mächte um die Kolonisierung Afrikas zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die Regierungen Boliviens und Paraguays sahen im Chaco Boreal einen „leeren Raum“ den es zu „kolonisieren“ galt – konkret ging es darum, den als „leer“ dargestellten Raum in Wert zu setzen und in ihm eine „kapitalistische Raummatrix“ (Poulantzas) aufzubauen, sowie aus der indigenen Bevölkerung Staatsbürger zu machen. Bei diesem Unterfangen versuchten beide Länder, verschiedene nicht-staatliche Akteure für ihre Zwecke einzubinden: Viehzüchter, christliche Missionare, mennonitische Kolonisten aus Kanada und der jungen Sowjetunion, Erdölfirmen und holzverarbeitende Unternehmen. Diese Akteure hatten aber jeweils ihre eigenen raumbezogenen Interessen, die sich nicht immer mit denen der jeweiligen Staaten deckten. Aus den komplexen Überschneidungen der verschiedenen Raumkonzepte der diversen Akteure resultiert die Produktion des Nationalterritoriums, die hier untersucht wird. Dabei wird auch herausgearbeitet, wie die damals entstandenen Raumkonzepte beide Länder bis heute prägen.
The Chaco War between Bolivia and Paraguay was the largest international conflict in the Americas of the 20th century. The two South American countries fought from 1932 till 1935 over the possession of the northern part of the Gran Chaco region, the Chaco Boreal. Both countries claimed this region as an inalienable part of their respective national territories, although this semi- desert and its population defied any state control since the beginning of the colonial era. The present research investigates how Bolivia and Paraguay tried to incorporate the Chaco Boreal into, and to thus consolidate their respective national territories. It is a history of the transformation of a space into a national territory. Departing from Henri Lefebvres’s theory of the production of space and the successive reflections of Neil Brenner and Stuart Elden, this study investigates the history of the production of the national territories of Bolivia and Paraguay in the Chaco Boreal. During the 1920s, the diplomatic conflict over the Chaco Boreal began to escalate. Bolivia sought the possession of the Chaco Boreal and especially of an harbour on the Paraguay River to compensate for the access to sea, definitely lost to Chile in 1921, and to vitalize the economy of the lowlands in the eastern half of the country. Paraguay tried to prevent this: A Bolivia with full access to the Paraguay River was seen by paraguayan politicians of all parties as a peril to the already fragile sovereignty of the country. To defend their respective claims on the international diplomatic stage, both countries had to prove a state presence in the disputed territory. So Bolivia and Paraguay were in a „scramble for the Chaco“, just as european powers were in the end of the 19th century for the colonization of the african continent. The governments of Bolivia and Paraguay saw an „empty space“ in the Chaco Boreal, that was awaiting „colonization“ – in a concrete sense, this meant to realize the economic value of this seemingly „empty space“ in a capitalist sense. In other words, it meant to construct a „capitalist spaces matrix“ (Poulantzas) in the Chaco Boreal, and to transform its indigenous population into state citizens. To realize this goal, both nation states sought the cooperation with a diversity of non-state actors: cattle ranchers, christian missionaries, mennonite colonists from Canada and the young Soviet Union, as well as oil and timber companies. These actors, however, had their own space related interests, which were by no means always in line with the interests of the states. The production of the national territory, investigated in this study, resulted from the complex interferences of the spatial concepts of these different actors. These different spatial concepts, that were developed in this production of national territory in the Chaco Boreal, still shape both countries until today.