Die vorliegende Arbeit geht anhand eines qualitativ-geleiteten Mixed Methods Designs den Fragen nach, wie Menschen mit HIV in Deutschland HIV-bezogene Stigmatisierung erleben und welche Rolle Prozesse der Selbstorganisation in deren Bewältigung spielen können. Stigmatisierung kann die Lebensqualität von Menschen mit HIV einschränken, negative Konsequenzen auf ihre medizinische Versorgung haben und weitergehende Erfolge in der HIV-Prävention behindern. Diese Aspekte sind Teil der Aufarbeitung der Forschungsfelder der HIV- bezogenen Stigmatisierung und Selbsthilfe, bei der die Arbeit ihren Ausgang nimmt. Hier stehen die Darstellung von in den Feldern bedeutsamen Konzeptionen und Entwicklungen sowie die Erarbeitung eines Interpretationsrahmens für die Ergebnisse der Studie im Mittelpunkt. Die methodische Umsetzung orientiert sich an der sozialkonstruktivistischen Ausformulierung der Grounded Theory Methodologie (GTM, Charmaz, 2014). In diesem Rahmen wurden in dem Peer -Projekt positive stimmen quantitative Daten zum Erleben von Stigmatisierung bei 1148 Menschen mit HIV erhoben. Einem qualitativ geleiteten Mixed Methods Design (Morse & Cheek, 2014) wurden in einem weiteren Schritt in dem Projekt involvierte Peer-Forscher_innen zu ihren diesbezüglichen Erfahrungen interviewt (Problemzentriertes Interview, Witzel, 1996). Erste Analysen anhand der GTM wurden diesen Peer-Forscher_innen innerhalb einer als member check (Torrance, 2006) konzipierten Focus Group zur Diskussion vorgelegt. Die Ergebnisse der Focus Group wurden in das bestehende GTM-Interpretationsgerüst eingearbeitet bzw. erweiterten dieses. Einem interaktiven Design folgend (Maxwell, 1996) wurden die quantitativen Analysen in die Erzählstruktur der qualitativen Ergebnisse eingearbeitet. Die integrierten Ergebnisse zeigen, wie sowohl das Erleben von Stigmatisierung als auch ein Engagement in Selbsthilfeinitiativen anhand eines zentralen Konzeptes des In der Begegnung mit einem Anderen um Handlungsraum ringen beschrieben werden kann. Stigmatisierung kann sich dadurch äußern, dass Menschen wahrnehmen, wie HIV als Fremdes und Anderes in ihre Leben eindringt und ihr Umfeld sie aufgrund der Infektion als fremd und Anders wahrnimmt und behandelt. In der Folge können die Möglichkeiten der Menschen eingeschränkt sein, HIV intrapsychisch und im sozialen Umfeld in ihr Leben zu integrieren und ihm so den Status des Anderen zu nehmen. Bei einem Engagement in einer Selbsthilfeinitiative treffen die Menschen mit HIV auf andere HIV-Positive und deren Umgang mit der Infektion als das Andere. Diese Begegnungen können Prozesse initiieren, die Menschen in der Integration der HIV-Infektion in ihr Leben unterstützen. Eine Ausdifferenzierung des zentralen Konzeptes erfolgt anhand der Darstellung sechs untergeordneter Phänomene: (1) HIV-bezogene Zäsur durchdringt Handlungsraum; (2) Durch Engagement Handlungsraum schaffen; (3) Im offenen Begegnen Handlungsraum schaffen; (4) Wenn das Verbindende das Andere schafft; (5) Anerkannte Rolle in HIV-Arbeit einnehmen; (6) Leben mit HIV in Aidshilfe- Strukturen nicht selbstverständlich. Die Relevanz der Ergebnisse zeigt sich auf forschungsprogrammatischer, konzeptueller und praxisbezogener Ebene: Neben Anstößen zur verstärkten Umsetzung von Peer-Forschung in dem Bereich bieten die Ergebnisse eine Erweiterung des konzeptuellen Verständnisses der untersuchten Phänomene. Aus diesem Verständnis lassen sich Schlüsse für die Entwicklung von Entgegnungsstrategien ableiten, die nicht auf die Integration von Minderheiten in eine Normgesellschaft abzielen, sondern die Wertschätzung von Differenz und Vielfalt fördern – und in denen Selbsthilfe von Menschen mit HIV eine bedeutsame Rolle in der Bewältigung und Reduktion HIV-bezogener Stigmatisierung einnimmt.
Using a qualitatively driven mixed methods design, the study focuses on the research questions how people living with HIV in Germany experience HIV- related stigmatisation and which potential role processes of self-organisation may play in coping with this. Stigmatisation reduces the quality of life of people living with HIV, impedes their access to medical services, and hampers further successes in HIV prevention. These consequences are part of the study’s outline of the research areas of HIV-related stigmatisation and self- organisation. The outline puts an emphasis on showing conceptual developments and drawing an interpretational framework for the study’s results. The methodological implementation follows the approach of a constructivist Grounded Theory Methodology (GTM, Charmaz, 2014). Within the peer-project positive stimmen (positive voices) quantitative data on experiences of stigmatisation of 1148 people living with HIV was collected. Following a Mixed Methods Design (Morse & Cheek, 2014) peer-researchers involved in the project were interviewed on their experiences in a further step (problem-centred interview, Witzel, 1996). First results of the analysis done with GTM were discussed by those peer-researchers in a focus group designed as a form of member check (Torrance, 2006). Data from the focus group was integrated into the existing frame of analysis or used to extend it. Following an interactive design (Maxwell, 1996) results of the quantitative analysis were merged into the story line of the qualitative results. The integrated results show how both the processes of experiencing stigmatisation and self-organisation can be described by a central phenomenon, namely struggling for space to act in the encounter with an Other. Stigmatisation can present itself in such a way that people experience HIV as strange and as the Other invading their lives, and that their social environment, due to the infection, considers them to be strange and the Other and treats them correspondingly. Consequently people living with HIV may see limited chances to integrate the infection psychologically and socially into their lives and to change HIV’s status as the Other. When engaging in self-help people encounter other people living with HIV and their coping with HIV as the Other. These encounters may initiate processes that support the integration of HIV into their lives. This central concept can be differentiated by six subordinate phenomena: (1) HIV-related caesura permeates space to act, (2) Creating space to act by engagement, (3) Creating space to act in an open encounter with an Other, (4) When common ground creates the Other, (5) Taking a recognized role within HIV-related work, (6) Living with HIV as not self-evident in Aids service organisations. The relevance of these results can be seen on research-related, conceptual, and practical levels: Next to providing an impulse to follow more peer- research designs in studies on those topics, the results broaden the conceptual understanding of processes of experiencing stigmatisation and engaging in self-organisation and their interlinkages. This understanding can contribute to the development of strategies addressing stigmatisation that do not focus on integration and normalization of minorities into the mainstream society but advocate for the appreciation and recognition of differences and diversity – strategies in which self-organisation of people living with HIV plays an important role in coping with and reducing HIV-related stigmatization.