HINTERGRUND: Alkoholkrankheit (AUD) stellt aus anästhesiologischer Sicht perioperativ einen häufigen Risikofaktor für schwerwiegende Komplikationen aufgrund pharmakologischer Interaktionen sowie akuter bzw. chronischer pathophysiologischer Veränderungen dar. Um präventive Maßnahmen zur Risikoreduktion ergreifen zu können ist es notwendig, diese Patienten vor einer Operation zu erkennen. Obwohl negative Auswirkungen der Alkoholkrankheit auf den Genesungsprozess allgemein bekannt sind, wird angenommen, dass nur ein geringer Anteil der Patienten mit Alkoholkonsum-bezogenen Störungen in Kliniken erkannt und adäquat behandelt wird. Primäres Ziel der Studie war durch Auswertung der Prämedikationsprotokolle die von den Anästhesisten erhobene Detektionsrate von AUDs zu erfassen und mit den Ergebnissen eines computerbasierten AUDIT-Screenings zu vergleichen. Sekundäres Ziel war, die von den Ärzten nach detektiertem AUD durchgeführten Maßnahmen zu erfassen und mit den in den Handlungsrichtlinien der Klinik („Charité Algorithmus zur Detektion von schädlichem Alkoholkonsum“) empfohlenen Maßnahmen zu vergleichen. METHODEN: Die Studie wurde als prospektiv observierende Studie konzipiert und im Zeitraum von Februar bis Juni 2006 in der Anästhesieambulanz der Klinik für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin der Charité Universitätsmedizin Berlin am Campus Mitte und am Campus Virchow-Klinikum durchgeführt. Die eingeschlossenen Patienten wurden vor dem geplanten Narkoseaufklärungsgespräch durch einen Anästhesisten gebeten einen computergestützten Fragebogen, in den der Alcohol Use Disorders Identification Test eingebettet war, auszufüllen. AUDIT-Werte ≥ 8 Punkte für Männer und ≥ 5 Punkte für Frauen wurden als positiv für das Vorliegen einer Alkohol-krankheit (AUD) gewertet. Um zu ermitteln, ob während des präoperativen Narkoseaufklärungsgespräches durch die Anästhesisten das Risiko beziehungsweise Vorliegen der Alkoholkrankheit erkannt wurde, wurden die durch den Arzt erstellten Prämedikationsprotokolle ausgewertet. Die Auswertung der Protokolle erfolgte stets erst nach Beendigung der Studienrekrutierung und nach Krankenhaus¬entlassung der Patienten. Die Anästhesisten waren über den Inhalt der Studienbefragung nicht informiert und hatten keinen Zugang zum Fragebogen oder den Ergebnissen der Computerbefragung. ERGEBNISSE: Im Rahmen der Studie konnten 1556 AUDIT-Fragebögen erhoben sowie die entsprechenden Prämedikationsprotokolle ausgewertet werden. Die durch die Anästhesisten in der klinischen Routine festgestellte Prävalenzrate lag bei 6,9 % (n=107/1.556), wohingegen das Screening mit Hilfe des computerbasierten Alkoholfragebogens (AUDIT) eine AUD-Prävalenz von 18,1 % (n=282/1.556) (p < 0,001) unter allen eingeschlossenen Patienten ergab. Unter den AUDIT-positiven Patienten wurde durch die Ärzte AUD bei Frauen signifikant seltener detektiert als bei Männern (p < 0,001) und bei jüngeren Patienten signifikant seltener als bei älteren Patienten (p < 0,001). In keinem der Prämedikationsprotokolle fand sich ein schriftlicher Hinweis darauf, dass der in den Handlungsrichtlinien der Klinik zur Verfügung stehenden „Charité Algorithmus zur Detektion von schädlichem Alkoholkonsum“ angewandt wurde SCHLUSSFOLGERUNG: Die Studie konnte erstmals zeigen, dass in der bisherigen klinischen Routine der Anästhesieambulanz ein überwiegender Anteil von Patienten mit Alkoholkrankheit präoperativ nicht nicht erkannt bzw. dokumentiert wird. Mögliche Präventiv- und Interventionsmaßnahmen werden damit für diese Patienten verpasst. Zur Verbesserung der präoperativen Detektion der Alkoholkrankheit (AUD) im Rahmen der klinischen Routine der Anästhesieambulanz sind daher dringend Barriere-Analysen sowie eine effektiven Implementierung von Strategien zur Detektion von Alkoholkrankheit in die Standardprozesse der Anästhesieambulanz notwendig.
BACKGROUND: Although alcohol use disorders (AUDs) have enormous public health consequences, the rate of diagnosis of AUDs remains unsatisfactorily low. The primary aim of this study was to compare the detection of AUDs by anesthesiologists in a large preoperative assessment clinic to that by computerized self-assessment of the Alcohol Use Disorder Identification Test. Secondary outcome measures were to compare the actions taken by anesthesiologists upon a finding of an AUD. METHODS: One thousand five hundred fifty-six patients were included. Before preoperative assessment, patients were asked to complete the Alcohol Use Disorder Identification Test (positive scores: men > or = 8, women > or = 5) using a computer. The authors performed a retrospective chart analysis of the anesthesiologists' actions upon a finding of an AUD. The anesthesiologists were blinded to the results of the computer-based assessment and to the subsequent chart analysis. RESULTS: The prevalence rate of AUDs determined by the anesthesiologists was 6.9% (107 of 1,556), whereas the proportion of patients positive for an AUD using the computerised Alcohol Use Disorder Identification Test was 18.1% (282 of 1,556) (P < 0.001). The detection rate by the anesthesiologists of AUDs among men was significantly higher than among women (P < 0.001) as well as in the elderly compared with younger patients (P < 0.001). Action taken by anesthesiologists was mainly based on evaluating quantity of alcohol consumption. CONCLUSION: The computer-based self-assessment increases detection rates of AUDs in busy settings such as a preoperative assessment clinic. Prevalence rates of AUDs are underestimated. Best-practice guidelines for detection of AUDs are not implemented in the daily clinical routine. Barrier analysis is urgently required.