Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur Klärung der Frage leisten, welche ethnische Ausrichtung die staatliche Kulturpolitik im Vielvölkerstaat Russland unter Präsident Boris Jelzin eingenommen hat. Kurz gefragt: War die Kulturpolitik Russlands russisch-ethnonationalistisch? In der Sowjetunion wurde immer wieder der Vorwurf erhoben, die russische Bevölkerungsmehrheit unterdrücke die anderen Volksgruppen. Angesichts dessen ist heute die Frage, wie sich Kulturpolitik als Politikfeld geistiger Werte in Russland entwickelt hat, ebenso interessant wie aktuell. Dies vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass das Land von ethnisch definierten Konflikten gezeichnet ist, welche zum Teil blutig ausgetragen werden, zum Teil durch Verhandlungen gelöst werden können. Das hier verfolgte Forschungsinteresse lässt sich dagegen dem klassischen W-Fragen-Schema folgend zusammenfassen als die Entwicklung der im Bereich Kultur betriebenen Politik (was?) staatlicher Akteure (wer?) auf föderaler Ebene (wo?) unter dem Gesichtspunkt ethnischer Voreingenommenheit (wie?) in der Ära El`cin (wann?) Der Aufbau der Arbeit erfolgt in zwei Teilen à drei Kapitel, einem systematischen und einem analytischen Teil, denen eine Einleitung respektive eine Überleitung vorangestellt ist. Im systematischen Teil werden die theoretischen Begrifflichkeiten ausgeführt, die im analytischen Teil zur Anwendung gelangen. Während die Einleitung metatheoretische und methodische Annahmen offenlegt, dient die Überleitung dazu, die Rahmenbedingungen Russlands mit den im ersten Teil erörterten theoretischen Begrifflichkeiten in Einklang zu bringen. Drei konzeptionelle Wesenszüge kennzeichneten demnach die föderale Kunstförderung aus nationalitätenpolitischer Sicht: der affirmative Kulturbegriff, das Bekenntnis zur Multikulturalität und gleichzeitig jedoch die Konzentration auf russische Klassiker, wie nachfolgend ausgeführt wird. Zum einen tritt der der russländischen Kulturpolitik zu Grunde liegende affirmative Kulturbegriff zu Tage, der für eine Konzentration auf die Tradierung vergangener Hochkultur verantwortlich ist. Es scheint, dass viele KulturpolitikerInnen, zumal wenn sie überwiegend mit dem Kulturelement Kunst befasst waren, Schwierigkeiten hatten ihr Gebiet in das politische Gesamtkonzept eines anthropologischen, soziokulturellen oder ethnologischen Kulturverständnisses einzubetten. Zwar bekannten sich die überwiegend russischen bzw. assimilierten staatlichen Akteure in ihrer Mehrheit verbal durchaus zur Multikulturalität Russlands, wie als zweiter konzeptioneller Wesenszug deutlich wird. Damit wurde anerkannt, dass bestimmte soziale Gruppen sich als Ethnien empfinden, d.h. als sich auf der Basis einer bestimmten Kultur konstituierende solidarische Gemeinschaften (unabhängig davon, ob dieses Gefühl eine primordialistische Basis hat oder aber konstruiert wurde). Als dritter Aspekt wird jedoch deutlich, dass trotz aller Betonung des Multikulturellen hauptsächlich russische Klassiker berücksichtigt wurden. Dies manifestierte sich vor allem in der direkten materiellen Redistribution, gewissermaßen als "affirmative Aktion" zu Gunsten der Vergangenheit. Dabei wurden überwiegend nach institutionalisierten Spielregeln der Kunst entstandene, also kanonisierte russische bzw. sowjetische Kunstformen gefördert und zwar hauptsächlich in Moskau und St. Petersburg. In der Gesetzgebung sowie der Verteilung immaterieller und indirekter materieller Güter dagegen lagen die Akzente anders.
This thesis deals with the question, what kind of ethnic orientation cultural policy developed in multiethnic Russia under President Yeltsin. In short: Was the federal cultural policy ethno-nationalistic towards the ethnic Russians? During the time of the Soviet Union a common reproach said that the ethnic Russian majority would suppress the other ethnic groups. In this light, the question how cultural policy has developed as a policy field of values is as interesting as current, especially if one keeps in mind the numerous ethnically defined conflicts in the country. The research interest, following the classic question-scheme, concentrated on the development of cultural policy (what?) of state actors (who?) on the federal level (where?) in regard to ethnic bias (how?) during the Yeltsin-era (when?). The thesis is divided into two parts (a systematic and an analytic one) of three chapters each, with an introduction and a transition to the parts, respectively. The systematic part explores the theoretical foundations, which will be applied in the analytic part. Whereas the introduction reveals meta-theoretical and methodological assumptions, the transition relates Russia's framing conditions to the theoretical tools of the first part. Summarizing the results, three conceptional strings mark the federal cultural policy in nationalistic terms: the affirmative concept of culture, the manifestation of a multicultural policy approach, and at the same time the concentration on Russian classic culture. The affirmative concept of culture focuses on the dissemination of high culture of the past. Many politicians especially those engaged in the arts seemed to have difficulties to embed cultural policy in an anthropological, socio-cultural or ethnological framework of culture. The state actors (who overwhelmingly belonged to ethnic Russians or had been assimilated) spoke most of the time of Russia as a multicultural country. Thus they acknowledged that some social groups define themselves as ethnic groups, i.e. as solidaric communities sharing a specific culture (independent of the fact, whether this definition is based on primordial or constructivist thinking). Despite the multicultural manifestations, a third established fact is the focus on the canon of Russian classics. This became especially clear for the direct material redistribution, in a sense as "affirmative action" in favor of the past. Thereby federal authorities supported mainly broadly accepted, institutionalized Russian and Soviet art forms in the two capitals Moscow and St. Petersburg. The situation differed, however, in legislative terms and in regard to the distribution of immaterial and indirect material resources.