Durch den großen Informationsgewinn in der Medizin und der damit verbundenen Komplexität von Krankheitsbildern, die häufig zusätzlich mit Komorbiditäten einhergehen, stieg in den letzten Jahren das Interesse nach standardisierten, diagnostischen Verfahren mit dem Ziel, nötige Informationen zu erhalten und damit den therapeutischen Verlauf positiv zu beeinflussen. Das Composite International Diagnostic Interview (CIDI) stellt ein Untersuchungsverfahren dar, das durch die Befragung verschiedener Sektoren psychische Komorbiditäten nach dem ICD-10 Katalog erfassen soll. Seit Bestehen (1990) wurde das CIDI deutlich zunehmend in unterschiedlichen Studien angewandt. Zur Untersuchung von Komorbiditäten bei Tinnituspatienten wurde das CIDI nach unserer Kenntnis jedoch lediglich in 7 publizierten Studien angewandt. Für das weit verbreitete Symptom Tinnitus ist bereits bekannt, dass bestimmte psychische Komorbiditäten eine entscheidende Rolle in der Genese des Tinnitus einnehmen können. Ziel der Arbeit war es daher, mit dem CIDI Komorbiditäten bei Tinnituspatienten zu erfassen und die Ergebnisse des CIDIs kritisch zu diskutieren, um anschließend eine Bewertung des CIDIs vornehmen zu können. Im Rahmen der 7-tägigen Tinnitus-Retraining-Therapie im Tinnituszentrum der Charité Berlin erfolgte im Zeitraum von Februar 2008 bis Februar 2009 bei 100 Patienten die Durchführung des CIDIs. Mithilfe von Fragebögen - dazu gehörten der Tinnitusfragebogen nach Goebel und Hiller (TF), die Hospital Anxiety Depression Scale (HADS), der General Anxiety Disorder-7 Fragebogen (GAD-7), die Allgemeine Depressionsskala (ADSL) und der Berliner Stimmungsfragebogen (BSF) - erfolgte der Vergleich zwischen den Ergebnissen des CIDIs und den Ergebnissen der Fragebögen. Anhand der vorgenommenen Vergleiche wurde eine Evaluation der CIDI Ergebnisse durchgeführt. Bei 100 chronischen Tinnituspatienten, wurden mittels CIDI 139 Diagnosen ermittelt. Zu den 3 großen Diagnosegruppen gehörten: 1\. Affektive Störungen (22,3%) 2\. Angststörungen (19,4%) 3\. Somatoforme Störungen (16,5%). In allen 3 Diagnosegruppen waren Frauen deutlich häufiger betroffen als Männer. Patienten mit affektiven Störungen und Angststörungen zeigten eine signifikant stärkere Tinnitusbelastung als Patienten ohne affektive Störungen oder Angststörungen. Patienten mit affektiven Störungen gaben außerdem im Berliner Stimmungsfragebogen mehr Niedergeschlagenheit, mehr Ärgernis, mehr ängstliche Depressivität, mehr Müdigkeit und mehr Teilnahmslosigkeit an als Patienten ohne affektive Störungen. Zusätzlich gaben Patienten mit affektiven Störungen signifikant höhere Werte in den Hospital Anxiety Depression Scale Werten und der Allgemeinen Depressionsskala an als Patienten ohne affektive Störungen. Auch die Diagnose Angststörungen führte zu ähnlichen Ergebnissen. Patienten mit Angststörungen gaben weniger gehobene Stimmung, mehr Ärgernis und mehr Teilnahmslosigkeit an als Patienten ohne Angststörungen. In der Hospital Anxiety Disorder Scale und dem General Anxiety Disorder-7 Fragebogen gaben Patienten mit Angststörungen signifikant höhere Werte an. Für diese zwei vom CIDI erstellten psychischen Diagnoseklassen ergaben sich also signifikant vergleichbare Ergebnisse in den relevanten Fragebögen, so dass angenommen werden konnte, dass das CIDI diese beiden Krankheitsbilder richtig diagnostizierte. Für somatoforme Störungen wurden keine signifikanten Ergebnisse im Zusammenhang mit der Tinnitusbelastung und dem Berliner Stimmungsfragebogen ermittelt. Folgende Erklärungen waren hierfür möglich: 1\. Das CIDI kann gegebenenfalls, wie mehrfach in früheren Studien beschrieben, somatoforme Störungen nicht richtig erfassen, da die Befragung von organischen Krankheiten durch das CIDI kaum erfolgt und somit falsch positive Diagnosen ermittelt werden bzw. keine Ausschlussdiagnostik besteht. 2\. Für Patienten mit somatoformen Störungen bestehen womöglich grundsätzlich keine Verstärkung der Tinnitusbelastung und keine signifikante Verschlechterung der Stimmung wie im Falle von Patienten mit affektiven Störungen und Angststörungen. Patienten im chronisch dekompensierten Tinnitusstadium zeigten signifikant häufiger affektive Störungen und Angststörungen im Vergleich zu Patienten im chronisch kompensierten Tinnitusstadium. Unsere Ergebnisse deckten sich mit denen früherer Studien. Jedoch ergaben sich für somatoforme Störungen keine signifikanten Unterschiede für Patienten im chronisch dekompensierten und chronisch kompensierten Stadium. Auch hier liegt die eigentliche Fehlerquelle womöglich im CIDI. Trotz relativ einfachen Handlings als strukturiertes Untersuchungsverfahren besteht nach diesen Ergebnissen eine Ungewissheit darüber, ob das CIDI vollständig korrekt psychische Diagnosen erstellt. In Zukunft wäre eine nähere Untersuchung des CIDIs hinsichtlich der Fähigkeit zur Erfassung von somatoformen Störungen angebracht, um eine vollständige Beurteilung zu ermöglichen.
The aim of this study was to diagnose psychiatric comorbidities in patients with tinnitus by using the Composite International Diagnostic Interview (CIDI). One hundred patients were evaluated by the Composite International Diagnostic Interview. All patients were submitted to hearing tests (pure tone audiometry) and standardised questionnaires (Tinnitus Questionnaire etc.). The results showed three main diagnosis groups: 1\. Affective disorders (22,3 %) 2\. Anxiety disorders (19,4 %) 3\. Somatoform disorders (16,5 %). A comparison between the CIDI and the questionnaires showed that patients with affective and anxiety disorders suffered from significantly higher tinnitus impact levels than patients without affective and anxiety disorders. No statistically significant correlations were found between patients with somatoform disorders versus patients without somatoform disorders and tinnitus impact levels. Two main causes could be involved in these results. The CIDI may not be able to diagnose somatoform disorders properly or patients with somatoform disorders may not develope higher tinnitus impact levels. Other results showed that patients with chronic decompensated tinnitus had significantly more often affective and anxiety disorders than patients with chronic compensated tinnitus. The study supports earlier results that showed the importance of psychiatric comorbidities in patients with tinnitus, especially the importance of affective and anxiety disorders. The CIDI could be used as a standardized diagnostic tool in patients with tinnitus to decrease clinical errors. It is recommended to ascertain if the CIDI may have errors in diagnosing somatoform disorders beforehand.