Das Vestibularorgan ist ein Teil des Innenohrs, dessen Rezeptoranteil durch den Otolithenapparat, bestehend aus Sakkulus und Utrikulus, sowie die Bogengänge gebildet wird. Während die Mechanorezeptoren des Sakkulus auf vertikale Beschleunigungsreize reagieren, dienen die Mechanorezeptoren des Utrikulus der Wahrnehmung horizontaler Beschleunigungsreize. Die Informationen werden dann über den Vestibularnerv zu zentralen Strukturen in Hirnstamm und Kortex weitergeleitet. Die Untersuchungsmethoden des peripher-vestibulären Systems umfassen neben der Anamnese und allgemeinen Koordinationsprüfungen auch Untersuchungen seiner einzelnen Teilbereiche. In den letzten Jahren wurde ein selektiver Sakkulustest entwickelt, der auf der Ableitung vestibulär evozierter myogener Potenziale (VEMP) am Muskulus Sternocleidomastoideus basiert. Ursprung dieser Potenziale ist ein disynaptischer Reflexbogen, der seinen Ausgang an den Rezeptoren der Makulaorgane des Innenohrs nimmt und an den Motoneuronen des Muskulus Sternocleidomastoideus endet. Die akustische Reizung der Makula sakkuli führt im Muskulus Sternocleidomastoideus zu Mikrokontraktionen, die als elektrische Potenziale durch Oberflächenelektroden über dem Muskel abgeleitet werden können. Diese Potenziale zeigen eine biphasische Wellenform mit jeweils einem negativen und einem positiven Maximum, die entsprechend ihrer Latenzen als p13, p44, n23, n33 bezeichnet werden. Dabei sind die Potenzialamplituden von der tonischen Muskelspannung, der Stimulusintensität und der Reizfrequenz, die Latenzen vor allem vom gewählten Stimulus abhängig. Als Stimuli sind hauptsächlich die akustisch über Luftleitung applizierten Klick-Reize und Tonbursts von klinischer Relevanz. An der HNO-Klinik der Charité wurde 2006 ein nicht kommerzielles Messsystem zur Untersuchung von VEMP entwickelt und realisiert. In der vorliegenden Arbeit wurden die optimalen Reize und Reizparameter für die Registrierung von VEMP für dieses Messsystem an gesunden Probanden bestimmt und an zwei Patientenkollektiven auf ihre klinische Anwendbarkeit hin geprüft. Dabei erfolgte die Ableitung der Potenziale bei 40 hörgesunden Probanden (20 Männer und 20 Frauen) im Alter zwischen 20 und 30 Jahren nach standardisierten Messbedingungen mit Klick-Reizen und mit Tonbursts von 500 Hz bei Lautstärkepegeln von jeweils 120, 125 und 130 dB SPL für die rechte und linke Reizseite. Anschließend wurden die Latenzen der Potenziale p13, n23, n33, p44 sowie die Amplitudenpp der Potenzialkomplexe p13-n23 und n33-p44 für jeden Reiz pro Seite und der Faktor Q, als Parameter für die Reproduzierbarkeit, für jede Messung ipsi- und kontralateral durch das Messsystem ermittelt und die Ergebnisse mittels des Programmpakets SPSS 16.0 statistisch ausgewertet. Dabei zeigte sich der Tonburst dem Klick-Reiz hinsichtlich der Auslösbarkeit und der Amplitudenhöhe überlegen. Es ergaben sich längere Latenzen bei der Verwendung von Tonbursts im Vergleich zu Klick-Reizen sowie eine Zunahme der Latenzen bei zunehmendem Lautstärkepegel für Tonbursts. Als optimaler Reiz für die Registrierung der VEMP erwies sich in dieser Studie der Tonburst von 130 dB. Mit diesem Reiz erfolgte bei 23 Patienten mit Neuropathia vestibularis und 29 Patienten mit Schwindelbeschwerden unklarer Genese aus der Schwindelsprechstunde der Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Charité Berlin (Campus Mitte) die VEMP-Messung. Bei den Patienten mit Neuropathia vestibularis konnten in 17,4% der Fälle bei einem Ausfall oder einer Untererregbarkeit in der Elektronystagmografie einer Seite auch ipsilateral pathologische VEMP nachgewiesen werden, was für eine Beteiligung des unteren Vestibularnerven spricht. Auch bei den Patienten mit Schwindelbeschwerden unklarer Genese konnten bei 13,8% der Patienten auf der linken und bei 10,3% auf der rechten Reizseite im Vergleich zur Gegenseite keine VEMP evoziert werden, so dass sich hier ein Hinweis auf eine Pathologie des Sakkulus, beziehungsweise des unteren Vestibularnerven der jeweiligen Seite, ergab. Für das an der Charité entwickelte Messsystem zeigen sich Tonbursts gegenüber Klick-Reizen überlegen. Es ist jedoch noch unklar, wie sich die Wirkung der beiden Reize auf die vestibulären Afferenzen unterscheidet. Aufgrund der noch unzureichenden Studienlage zu den Latenzen der Potenziale und der diesbezüglich auch uneindeutigen Ergebnisse dieser Arbeit ist die Aussagefähigkeit der mit diesem Messsystem ermittelten Latenzen als eingeschränkt zu erachten. Die Messung der VEMP wird vom Alter des Patienten, von der Art der Muskelkontraktion sowie von der Reizapplikation (monaural oder binaural) beeinflusst. Bei Messungen im klinischen Alltag mit dem untersuchten Messsystem sollte also auf die Einhaltung der in dieser Arbeit beschriebenen Methode geachtet werden. Ein Unterschied der VEMP bei Männern und Frauen fand sich nicht, so dass das Geschlecht bei der Auswertung der Ergebnisse zu vernachlässigen ist. Bei Patienten mit Neuropathia vestibularis bieten VEMP die Möglichkeit einer zusätzlichen Information hinsichtlich der Schädigung des unteren Vestibularnerven, während sie bei Patienten mit Schwindelbeschwerden unklarer Genese bei der Diagnostik von Otolithenfunktionsstörungen zukünftig in der klinischen Diagnostik eine wichtige Rolle spielen können.
The vestibular organ is a part of the inner ear. Its receptor is formed by the otolith organs, consisting of utricle and saccule, and the semicircular canals. While the mechanoreceptors of the saccule respond to vertical acceleration, the mechanoreceptors of the utricle serve the perception of horizontal acceleration. The information is then forwarded to the central vestibular structures in brainstem and cortex. Besides the medical history and general investigation of coordination, the clinical investigation methods of the peripheral vestibular system also include investigations of its various sections. In recent years a selective test of the saccule was developed, based on the recording of vestibular evoked myogenic potentials (VEMP) on the sternocleidomastoid muscle. The origin of these potentials is a disynaptic reflex arc, which originates in the receptor cells of the saccular macula of the inner ear and ends at the motor neurons of the sternocleidomastoid muscle. The acoustic stimulation of the saccular macula leads to microcontractions in the sternocleidomastoid muscle, which can be recorded as electrical potentials by surface electrodes on the muscle. These potentials show a typical biphasic waveform, each with a single positive and negative peak, which are designated according to their latencies as p13, n23, n33, p44 . The amplitudes of the potentials depend on the tonic muscle tension, stimulus intensity and frequency of the stimulus. The latencies are primarily dependant on the stimulus chosen. Mainly the acoustic air-conducted click and toneburst stimuli are of clinical relevance. In 2006 a non-commercial measuring system for the study of VEMP was developed and implemented at the ENT Clinic of the Charité. In the present study, the optimal stimulus and stimulus parameters for the registration of VEMP for this measuring system were determined in healthy volunteers and tested for their clinical applicability in two groups of patients. The potentials were recorded in 40 healthy subjects with normal hearing (20 men and 20 women) aged between 20 and 30 years according to standardized test conditions with click stimuli and tonebursts of 500 Hz at sound pressure levels of 120, 125 and 130 dB SPL for the right and left testing side. Subsequently, the latencies of the potentials p13, n23, n33, p44, and the amplitudes of the potential complexes p13-n23 and n33-p44 for each stimulus and the factor Q, as a parameter for reproducibility, were determined for each recording ipsilateral and contralateral by the measuring system. The results were obtained using the software package SPSS 16.0 for statistical analysis. The results showed that tonebursts are superior to click stimuli in terms of releasability and amplitude level. It was shown that tonebursts have longer latencies compared to click stimuli and that there was an increase in latency with increasing volume levels for tone bursts. The tone burst of 130 dB was found as an optimal stimulus for the registration of VEMP in this study. With this stimulus, VEMP testing was performed in 23 patients with vestibular neuritis and 29 patients with dizzines of unknown origin from the dizziness ambulance of the Charité Berlin VEMP. In 17,4% of patients with vestibular neuritis an ipsilateral pathological VEMP could be detected when there was an ipsilateral hyposensitivity in the caloric test, suggesting an involvement of the inferior vestibular nerve. In patients with dizziness of unknown origin in 13,8% on the left and 10,3% on the right recording side a VEMP also couldn´t be evoked compared with the contralateral side, which indicated a pathology in the saccule, respectively in the inferior vestibular nerve of the respective side. For the measuring system developed at the Charité tonebursts show themselves superior to click stimuli. However, it is unclear how the effects of the two stimuli on the vestibular afferents differ. Due to insufficient results of various studies on the situation concerning latencies of the potentials and ambiguous results of this study, the results obtained by the measuring system developed at the Charité concerning the latencies are restricted. The recording of VEMP is influenced by the patient's age, the method of muscle contraction as well as by the method of stimulus application (monaural or binaural). For recordings in clinical practice with the tested measuring system, the methods described in this study should be applied. There was no difference of VEMP parameters comparing results of male and female subjects, so gender can be neglected in the evaluation of the results. In patients with vestibular neuritis, VEMP offer the possibility of additional information regarding damage to the inferior vestibular nerve. In patients with dizziness of unknown origin they could play an important role in the clinical diagnosis of otolith dysfunction.