Die Dissertation befasst sich mit dem sicherheitspolitischen Verhalten staatlicher Akteure. Kompensation wird als eine politische Handlungsoption begriffen, die Staaten verfolgen, wenn sicherheitspolitische Zielsetzungen mit herkömmlichen militärischen oder bündnispolitischen Mitteln nicht erreicht werden können. Ziel kompensatorischer Sicherheitsstrategien ist es dabei, vermeintlich oder tatsächliche Defizite im Bereich der äußeren Sicherheit durch Handlungsoptionen in anderen, funktional zunächst unabhängigen und nicht unmittelbar sicherheitsrelevanten Politikbereichen auszugleichen. Kompensatorische Sicherheitsstrategien vermitteln Flexibilität und erweiterte Handlungsspielräume bei der Gestaltung von Sicherheitspolitik unter veränderten Rahmenbedingungen. Das Konzept der kompensatorischen Sicherheitsstrategie wird am empirischen Fall der drei Staaten Estland, Finnland und Taiwan untersucht. Die Außen- und Sicherheitspolitik aller drei Länder verbindet in besonderer Weise Kontinuität und Wandel. Auch nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation ist ihre sicherheitspolitische Situation durch die Anwesenheit eines wesentlich größeren Nachbarstaates geprägt, dessen Außenpolitik als Herausforderung und potenzielle Bedrohung wahrgenommen wird. Alle drei können ihre sicherheitspolitische Strategie in wesentlichen Teilen nicht auf hergebrachte militärische oder bündnispolitische Instrumente stützen. Gleichzeitig stehen ihnen durch den Wandel des internationalen Systems neue Möglichkeiten offen, um einem entlang hergebrachter Kategorien definierten Sicherheitsbedürfnis gerecht zu werden. Handlungsfelder kompensatorischer Sicherheitsstrategien sind Wirtschaft und Außenhandel, die regionale Zusammenarbeit sowie innenpolitische Entwicklungen mit sicherheitspolitischer Relevanz. Estland, Finnland und Taiwan greifen auf kompensatorische Strategien bei der Gestaltung ihrer Außen- und Sicherheitspolitik zurück. Dabei lassen sich anhand der Kombination und Gewichtung einzelner Handlungsfelder unterschiedliche Kompensationstypen unterscheiden. Ferner unterscheiden sich kompensatorische Sicherheitsstrategien dadurch, in welchem Maße sie mit einem Wandel sicherheitspolitischer Wahrnehmung verbunden sind. Über Zeit kann Kompensation eine Neudefinition sicherheitspolitischer Interessen und eine Überarbeitung der Ziele von Sicherheitspolitik herbeiführen. In Finnland führten die Erfahrungen mit der Politik einer aktiven Neutralität gegenüber der Sowjetunion zu einer derartigen Verstetigung einer kompensatorischen Sicherheitsstrategie. Die regionale Zusammenarbeit auf der Basis der Mitgliedschaft in der Europäischen Union wurde zu einem zentralen Instrument, um Anknüpfungspunkte mit Russland für den Umgang mit sicherheitsrelevanten Problemen zu suchen. Estland betrachtet die Mitgliedschaft in der Europäischen Union als Kompensation sicherheitspolitischer Defizite, solange das Ziel eines NATO-Beitritts nicht erreicht ist. Grundmotiv estnischer Außenpolitik in den 1990er Jahren war das Bestreben, sich russischen Einflussversuchen zu entziehen, statt vorrangig nach Anknüpfungspunkten für eine engere Zusammenarbeit zu suchen. Taiwan stellt den innenpolitischen Demokratisierungsprozess in das Zentrum kompensatorischer Sicherheit, um die politische und militärische Unterstützung der USA im Konflikt mit der Volksrepublik China dauerhaft zu gewährleisten. Der sicherheitspolitische Effekt wirtschaftlicher Verflechtungen, vor allem mit der Volksrepublik China, wird dagegen ambivalent beurteilt.
This thesis looks at the security policy of state actors. States can pursue a compensatory security strategy, if traditional policy options (defence, military alliances) are not available. The main goal of compensatory security strategies is to compensate for security policy deficits by linking security issues with policies in functional independent, non-military areas. Compensatory security strategies provide enhanced flexibility and additional scope of action in a changing political environment. Three case studies cover Estonia, Finland and Taiwan. Their security situation has several issues in common: All of them are situated in the direct geographical neighborhood of a significantly bigger state, which they perceive as a potential threat to their security. They cannot rely mainly on traditional security instruments like military defence or alliances. At the same time, a changing international system increasingly provides new possibilities to satisfy national security interests. Economics, foreign trade, regional cooperation and even domestic politics can be subject of a compensatory security strategy. Estonia, Finland and Taiwan all rely on compensatory strategies in their foreign and security policy. Different types of compensatory security strategies can be identified. They are characterized by differently setting priorities on single issue areas. Furthermore, compensatory security strategies can initiate changes of state actors' perceptions of national security and definitions of security policy goals over time. Finland's policy of active neutrality towards the Soviet Union led to pursuing constantly a compensatory strategy even after the disintegration USSR. Cooperation with Russia and affiliation with the European Union have been perceived as favorite strategy for dealing with challenges to Finnish security. In contrast, Estonia strives for membership in the European Union in order to compensate for latently perceived security deficits, as far as security guarantees given by NATO are not available. Compensatory strategies in Taiwan's security policy lay emphasis on her domestic democratization in order to maintain ongoing political and military support of the U.S. against political ambitions of the People's Republic of China. On the other hand, the impact of economic interdependence with the Chinese mainland has been seen ambiguously so far.