Drei Hauptwerke der deutschsprachigen Epik des 20. Jahrhunderts - Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften", Heimito von Doderers "Die Dämonen" und Hans Henny Jahnns "Fluß ohne Ufer" - teilen sich in die Verwendung eines spezifischen Erinnerungsmotivs, das zugleich Teil hat an den je besonderen Problemen dieser Texte. Robert Musils Roman, so die These der Arbeit, entfernt sich mit dem Erinnerungsprozeß, der von den Romanfiguren Ulrich und Agathe angestrengt wird, zunehmend vom Kern des auf Ulrich angewendeten Konzepts der Eigenschaftslosigkeit. Auch gegen den 'anderen Zustand' müssen Erinnerungen als gegenläufig angesehen werden, da sie Ulrich in unverwechselbarer Weise biographisch redimensionieren und 'traditionalisieren'. "Die Tiefe ist außen": Diese Feststellung Heimito von Doderers erscheint hochgradig vermittlungsbedürftig mit der poetischen Verarbeitung der Erinnerung in seinem Roman "Die Dämonen". Eine Poetik der Erinnerung, die Doderer in seiner "Strudlhofstiege" entwickelt hatte, wird in den "Dämonen" einem 'Veräußerlichungsimpetus' unterworfen, dem sie - im Sinne des inneren, psychologischen Vorgangs, den die Erinnerung für Doderer bedeutet - nicht bruchlos zu unterwerfen ist. Doderers Lösung besteht darin, zu spezifischen Veräußerlichungsmethoden wie der Vergegenständlichung und der Verschriftlichung der Erinnerung seine Zuflucht zu nehmen. Hierdurch gestaltet er, anders als es die Forschung bisher gesehen hat, eine entschiedene Abkehr vom Innerlichkeitsparadigma der Erinnerung. Hans Henny Jahnns Romantrilogie "Fluß ohne Ufer" steht seit langen Jahren in dem Ruf, strukturellen Gebrauch vom Motiv der Erinnerung zu machen. Strukturelle Bedeutung erlangt das Erinnerungsmotiv jedoch nur im mittleren Teil des Romans, der "Niederschrift des Gustav Anias Horn". Jahnn nimmt, ohne es zu wollen, Doderers Schritt von der Erinnerung zur verschriftlichten Erinnerung auf und teilt mit ihm die Absicht einer Entpsychologisierung des Motivs. Mit dem Schritt zu einer surrealen Wiederkehr der Vergangenheit in die Gegenwart ("Inversion der Zeit") durchbricht er zudem in entscheidender Weise das traditionelle, psychologische Erinnerungsmodell. In den Romanen Musils, Doderers und Jahnns wird mithin eine entschiedene 'Entsubstanzialisierung' der Erinnerungsvermögens betrieben. Die Vergangenheit als Gegenstand des Erinnerungsvermögens wird nicht mehr als jener 'Kontobetrag' aufgefaßt, dessen sich vergewissern muss, wer als lebens- und biographisch handlungsfähig gelten will. Vergangenheit ist nicht mehr Kern eines gegenwärtigten Lebens. Sie tritt vielmehr als heterogenes Anderes dieses Leben an dessen Seite. Damit fallen zwei Bereich auseinander, die - in der Tradition und im Einzugsbereich der Psychoanalyse - als miteinander eng verbunden gedacht worden waren: eigene Erinnerung und eigene Vergangenheit.
Remembrance as a specific motif plays an important role in three major works of 20th century German literature: Robert Musil's 'Der Mann ohne Eigenschaften' ('The Man without Qualities'), Heimito von Doderer's 'Die Dämonen' ('The Demons') and Hans Henny Jahnn's 'Fluß ohne Ufer' ['River without a Shore']. In addition, remembrance is linked to the conceptual problems of each novel. In Robert Musil's novel, the process of remembering that is inaugurated by the characters Ulrich and Agathe leads away from the concept lying at the core of the novel - the concept of a man without qualities. Furthermore, remembering is contrary to the 'Anderer Zustand', the 'other state', because it launches a biographical reconfiguration and makes Ulrich a distinguishable character. 'Die Tiefe ist außen' ('Depth is on the outside/surface'): This dictum of Heimito von Doderer has to be reconciled with the poetic use of remembrance in his novel 'Die Dämonen'. In 'Die Strudlhofstiege', Doderer had developed a poetics of remembrance, which in 'Die Dämonen' is now subjected to a process of surfacing, a 'Veräußerlichungsimpuls'. Since Doderer regards remembrance as an inner, psychological phenomenon, this process of surfacing leads to problems which Doderer solves by using certain techniques of surfacing: e.g. concretisation (or objectivation) and writing down. Contrary to the received opinion, the use of these techniques results in a negation of remembrance as an introspective paradigm. Hans Henny Jahnn's trilogy 'Fluß ohne Ufer' has long been seen as an example of the structural use of remembrance. However, only in the middle part, 'Die Niederschrift des Gustav Anias Horn', remembrance is given structural importance. Unintentionally, Jahnn takes up Doderer's shift from remembrance as an inner paradigm to written remembrance and, like Doderer, he intentionally avoids psychologising. With the introduction of a surreal return of the past into the present ('Inversion der Zeit'/'inversion of time') Jahnn breaks decisively with the traditional, psychological model of remembrance. Thus, in the novels of Musil, Doderer, and Jahnn the faculties of remembrance lose substance and importance. The past (as the object of remembrance) is no longer that 'store of wealth' that one has to turn to if one wants to remain fit for life (and biography): the past is no longer the core of present life. Contrariwise, the past is seen as a heterogeneous Other of this life. The consequence is the dissociation of two spheres, that tradition and psychoanalysis regard as closely connected: the own remembrance and the own past of the subject.